Jeder Meter ein Genuss
Der Moselradweg misst mehr als 300 Kilometer. Er zählt zu den schönsten in ganz Europa
Von Fred Hafner
Trier/Koblenz. Kann eine 300 Kilometer lange Radtour auf buchstäblich jedem Meter purer Genuß sein? Keine Frage, an der Mosel schon. Zählt doch der Moselradweg zu den schönsten Europas. Denn hier bietet die Landschaft alles: Schlösser, Burgen, Kirchen, Klöster und Ruinen – wie an einer Perlenkette aneinandergereiht. Dazu steile Hänge mit unzähligen Weinreben, mildes Klima, urtypische und -gemütliche Winzerdörfer, zierliche Fachwerkhäuser. Außerdem: Die Qualität der Radwege ist oft hervorragend, mindestens aber sehr gut. Man kann links (313 km) oder rechts (306 km) des Flusses fahren. Der Moselradweg startet in Metz, führt über Wasserbillig und Trier nach Koblenz. Der offizielle Moselradweg wechselt häufig die Flussseite, verläuft dafür fast immer auf befestigten oder asphaltierten Wegen. Vorsicht: Die Wahl der für jeden persönlich am besten passenden Flussseite ist nicht unbedeutend. Zwar bietet der offizielle Weg immer den optimalen Belag, führt aber dafür auch schon mal direkt an der Straße entlang (wenn auch immer abgetrennt von ihr). Mitunter die nichtoffizielle Flussseite zu wählen, hat Vorteile. So zwischen Bullay und Senheim oder zwischen Cochem und Treis-Kaden: Dort führt der (nichtoffizielle) Radweg dann durch Naturschutzgebiete. Bei trockenem Wetter ist das sehr zu empfehlen! Gut zu wissen: Die Moselseite zu wechseln, ist immer einfach. Zahlreich sind Brücken und Fährmöglichkeiten.
Panoramablick vom Calmont-Gipfel am Moselsteig über die Moselschleife bei Bremm
Der Moselradweg ist durchgängig asphaltiert und bestens ausgeschildert. Er führt überwiegend am Fluss entlang, aber hin und wieder auch durch die Weinberge. Der Radweg misst von Trier bis Koblenz (jeweils bester Bahnanschluss) knapp 200 Kilometer. Er ist ganzjährig befahrbar. Beste Reisezeit wegen der Weinlese sind September und Oktober
Wir nehmen die knapp 200 km von Trier bis Koblenz unter die Räder. Ausleihstationen gibt es zahlreich, etwa in Trier direkt am Empfangsgebäude, Gleis 11, am Hauptbahnhof. Zuvor sind natürlich Porta Nigra, Trierer Dom und auch das Geburtshaus von Karl Marx Pflichtprogramm. Auch wer das alles bereits kennt, sollte mindestens das Marx-Museum erneut besuchen. 1727 als barockes Wohnhaus erbaut, beherbergt es heute eine erweiterte und neue interaktive Ausstellung, die sich seiner Person, dem Gesellschafts- und Kapitalismuskritiker des 19. Jahrhunderts sowie den Auswirkungen seiner Ideen bis heute in globaler Perspektive widmet.
Trier ist natürlich für die Porta Nigra und den Dom weltbekannt. Aber auch das kürzlich renovierte und mit multimedialer Ausstellung bestückte Geburtshaus von Karl Marx in der Brückenstraße 10 sollte man unbedingt besuchen
Jetzt aber auf die Räder. Über Pfalzel und Schweich geht es nach Mehring. Sehenswert ist hier die Villa Rustico, ein Landgut im Römischen Reich. Mit unserer vorbereiteten Audio-Tour erfahren wir unterwegs immer wieder spannende Geschichten zu kulturellen und landschaftlichen Höhepunkten. Insgesamt 40 Hörstationen verteilen sich auf deutscher Seite des Radwegs von Perl bis Koblenz. Vorher ist nur die kostenlose Lauschtour-App herunterzuladen (Infos auch über Mosellandtouristik), und los gehts.Wir übernachten direkt an einer der sogenannten Moselschleifen (der Fluss macht mehrfach 180-Grad-Kehren) in Trittenheim. Hier gibt es eine katholische Kirche, erbaut 1790 bis 1793, die Laurentiuskapelle (erstmals 1569 urkundlich erwähnt), eine Römische Sarkophage (Grabstätte um 375 n.Chr. angelegt) und Fährtürme zu bestaunen. Sie dienten als Behausung des Fährmannes und der Verankerung auf beiden Seiten, zeugen vom Pontonfährbetrieb bis 1909.
Am nächsten Tag geht es über Neumagen-Dhron (ältester Weinort Deutschlands) und Bernkastel-Kues (Heimatmuseum, Weinkulturelles Zentrum, Cusanusstift, Kloster Machern besichtigen – aber wichtig: unbedingt durch die Altstadt schlendern!) nach Traben-Trarbach. Die Jugendstilstadt ist ein architektonisches Juwel. Sie galt nach Bordeaux um 1900 als zweitgrößte Weinhandelsmetropole Europas. In der Moselstadt sind noch heute über 60 teils doppelstöckige Kellergewölbe zu besichtigen, die sogenannte Traben-Trabacher Unterwelt.
https://www.reiseblick.net/traben-trarbach.
Natürlich gibt es auch hier wie überall am Moselradweg Weinproben an jeder Ecke. Zu früh für uns an diesem Vormittag. Schließlich wollen wir noch auf die Burgruine Grevenburg, die hoch über der Stadt thront und eine besondere Sehenswürdigkeit ist.
Vom Wanderweg „Moselsteig” und der Burgruine Grevenburg hoch über Traben-Trarbach hat man einen schönen Blick über die einzigartige Landschaft und die Schleifen des Flusses
Der Abstecher zur Villa Rustico in Mehring ist kurz. Per Audioguide erfährt man spannende Geschichten. Insgesamt 40 Audio-Guide-Punkte gibt es am Moselradweg
Übernachtungsziel für heute ist der idyllische Weinort Pünderich. Denn das dortige Hotel „Zur Marienburg“ ist besonders. Es wird familiengeführt und bereits in 4. Generation privat betrieben. Die Eigentümer, Familie Burch, haben das historische Gebäude aus dem Jahr 1800 entkernt und um einen Neubau ergänzt, so Tradition und Moderne zusammengeführt. Die Küche ist ausgezeichnet: Küchenchef Rudi hat sein Handwerk noch vom Opa gelernt. Und so kombiniert die Küchencrew ursprüngliche moselfränkische Speisen mit modernen kulinarischen Kreationen.
Damit sich der Gast wirklich wohl und vor allem ausgeruht fühlt, arbeitet das Hotel mit einem Startup zusammen: airfect stellt unter anderem besondere Taschenfederkernkissen her. Nun hat, wer viel unterwegs ist, jeder seine Erfahrungen mit möglichen und (un-)möglichen Kopfkissen machen dürfen. Aber was soll man sagen? In Pünderich scheinen viele Gäste besonders gut zu schlafen. Die innovativen Kopfkissen im Hotel sind jedenfalls Frühstücksgespräch an den Tischen. Viele Gäste sind so überzeugt, dass sie die Kissen mit einem kleinen Rabatt gleich an der Rezeption kaufen.
Über Zell an der Mosel und Bullay geht es am 3. Tag unserer Tour zunächst nach Bremm. Hier liegt eine der schönsten Moselschleifen. Zwischen Bremm und Eller laufen wir den Calmont-Klettersteig. 2001 erbaut, führt der schmale Pfad drei Kilometer durch Europas steilsten Weinberg. Er ist mit 6 Leitern, 100 Meter Sicherungsseilen, 22 Trittbügeln und 16 Trittstiften gesichert und begehbar gemacht. Das ist ein besonderes Erlebnis, man sollte jedoch trittsicher und schwindelfrei sein. Gutes Wetter und sicheres Schuhwerk sind weitere Voraussetzungen.
Klettersteige sind zahlreich an der Mosel, ebenso die Gastwirtschaften: Hier wird schmunzelnd gewarnt: "Zutritt nur mit tagesaktuellem Durst"
Die Weinernte ist im Herbst im vollen Gange, per Hand und mit Maschinen. Um die schweren Trauben zu Tale zu fördern, hilft vielerorts die sogenannte
De Leuf-Bahn
Nach soviel Weinbergen wollen wir nun aber mehr über die Weinlese erfahren, schließlich sind wir Ende September unterwegs. Überall in den Weinhängen zwischen Trier und Koblenz herrscht von morgens bis abends geschäftiges Treiben, Hunderte Erntehelfer sind unterwegs.
Wir weitem grüßt das „Weingut Andre“ in Nehren, wir halten spontan an. Und obwohl der Chef, Stefan Andre, viel zu tun hat, nimmt er sich kurz Zeit für uns. 85.000 bis 90.000 Liter keltert der Familienbetrieb (seit 1811) jährlich, u.a. Riesling, Sauvignon Blanc, Weiss- und Grauburgunder. Die Familie Andre kam im 17 Jh. aus Frankreich an die Mosel, nach Nehren. Vier Mitarbeiter hat Stefan Andre ganzjährig, in der Erntezeit mehr. Sein Wein ist sehr gefragt, 98 Prozent verkauft er an Privatkunden, nur 2 Prozent gehen in die Gastronomie. „Wir haben fast nur Stammkunden, die unsere Qualität sehr schätzen – und das seit Jahrzehnten“, sagt Andre. Und er freut sich, dass zunehmend jüngere Käufer zu ihm kommen, „aus der Region und viele auch aus Norddeutschland.“ Natürlich gibt es auch Säfte. Andre versendet europaweit, die Lagerhalle ist voll in diesen Wochen.
Jetzt nimmt uns Stefan Andre mit in den Weinberg. Mehr als 50 hat er davon. Die optimale Zeit für die Traubenernte hängt von verschiedenen Faktoren ab: Rebsorte, Temperaturen nachts und am Tage, gewünschte Weinqualität. Eine allgemeine Faustregel besagt, dass die Trauben erntereif sind, wenn sie eine gleichmäßige Farbe aufweisen und leicht vom Stiel abzulösen sind. Bei kleinen Weinbergen oder in schwierigem Geländen wird meist mit der Hand geerntet. Mit einer speziellen Schere versuchen wir, die Trauben vorsichtig vom Rebstock zu schneiden. In größeren Weinbergen wird die Ernte häufig maschinell durchgeführt. Spezielle Erntemaschinen schütteln die Trauben vom Rebstock und sammeln sie in Behältern oder Netzen. Diese Methode ist effizienter, erfordert jedoch eine sorgfältige Überwachung, um Beschädigungen der Trauben zu vermeiden. Weinernte ist harte körperlicher Arbeit. Nach einer knappen Stunde schmerzen uns Hände und Rücken. Wir sind froh, wieder auf die Räder steigen zu können. Stefan Andre schmunzelt. Er wird mit seinen Helfern noch bis zum Sonnenuntergang im Weinberg arbeiten …
Spontaner Stopp: Das Weingut Andre in Nehren wird seit 1811 familiär geführt. Inhaber Stefan Andre hat zwar wegen der Weinlese wenig Zeit, zeigt uns dennoch seine Abfüllanlage und Lager. Bevor er uns mit in einen seiner 50 Weinberge nimmt. Nach einer Stunde Weinlesen spüren wir bereits unsere Gelenke. Andre schmunzelt. Er wird zur Dunkelheit durcharbeiten
Heutiges Übernachtungsziel ist Cochem. Weil die Zeit wegen der außerplanmäßigen Weinlese weit fortgeschritten ist, besteigen wir in Beilstein ein Schiff. Familie Kolb betreibt die Moselschifffahrt seit 1924. Sie wird von Gästen und Einheimischen gern genutzt. Im Fahrplan stehen Moselrundfahrten, Schleusenfahrten, Halbtages- und Tagesfahrten. Heute zählt das Unternehmen 28 Fahrgastschiffe sowie die Beilsteiner Autofähre „St. Josef“. Im Juli 2024 haben die Gebrüder Kolb einen großen Schritt gewagt und die Schiffswerft Trier gekauft. Auf dem Gelände von 24.0000 Quadratmetern werden unter anderem Schiffsreparaturen durchgeführt. Die Schiffswerft Trier ist nun die einzige, große Werft auf der deutschen Moselseite.
Cochem ist sehr beliebt. Das liegt auch an der eindrucksvollen Reichsburg, die direkt an der Mosel liegt. Sie hat eine mehr als 1.000jährige Geschichte und trohnt, egal aus welcher Richtung man sich der Stadt nähert, auf einem steilen Bergkegel, der sich noch einmal 100 Meter über der Mosel erhebt. Eine Besichtigung mit Rittersaal, Jagdzimmer und Kemenate ist zu empfehlen, ein herrlicher Blick auf Cochem und die Mosel gibt’s gratis dazu. Doch auch die kleine Stadt mit ihren bunten Häuschen und dem für die Region typischen Fachwerk-Baustil ist sehenswert. Die Stadtmauer ist teils gut erhalten, zahlreiche Stadttore heute noch zu bewundern. Der Marktplatz mit dem Martinsbrunnen ist Cochems „gute Stube“.
Der Tourismus stellt den wichtigsten Wirtschaftszweig im Landkreis Cochem-Zell dar. 2023 besuchten 613.190 Gäste Cochem-Zell (plus 6,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum). Die Zahl der Übernachtungen stieg um 5,7 Prozent auf 1.998.290. Dabei hat Cochem selbst nur 5.000 Einwohner.
Moselschiffahrt in Beilstein und vor einem der unzähligen Weinberge. Prall hängen die Trauben erntereif im Herbst
Am vierten und letzten Tag fahren wir über Treis-Karden (Stiftsmuseum, Archäologie-Park, Turm der ehemaligen Liebfrauenkirche) zum Örtchen Moselkern (heißt wirklich so). Hier ist ein Abstecher zur Burg Eltz möglich, der wohl schönsten an der gesamten Mosel. Allerdings geht es steil bergauf. Für diesen Ausflug sollten es schon E-Bikes sein. Das letzte Stück muss man hochlaufen. Weiter geht es über Hatzenport (Fährturm, Kirche St. Johannes), Kobern-Gondorf und Winningen nach Koblenz. Wussten Sie, dass der Zusammenfluss von Mosel und Rhein (lateinisch: „confluentes“) hier am Deutsche Eck der Stadt ihren Namen gab? Koblenz hat viel zu bieten, aber das kurfürstliche Schloss, die Festung Ehrenbreitstein und das Deutsche Eck sind ein Muss. Wer nach den 200 Kilometern entlang der Mosel doch seine Muskeln und Gelenke spürt, nutzt die hochmoderne Seilbahn über den Rhein hinauf zur Festung. Andere natürlich auch.
Fazit: Die Moselradtour ist für jeden Fitnessgrad empfehlenswert. Wegequalität und -ausschilderung sind ausgezeichnet. Obwohl es immer am Fluss entlanggeht, gibt es ein paar wenige Steigungen. Übernachtungs- und Gastronomiemöglichkeiten finden sich an (fast) jeder Ecke. Auf vielen Kilometern fährt die Moselbahn parallel zum Radweg. Vielerorts ist der Wechsel vom Rad in den Zug möglich. Für den Moselradweg gibt es viele Pauschalangebote, man kann aber auch individuell einfach losradeln – einen Tag, ein Wochenende oder die gesamte 4- oder 5-Tages-Tour. Die Strecke ist ganzjährig zu befahren, allerdings im September/Oktober wegen der Weinlese am eindrucksvollsten.
(September 2024)
Fotos: Fred Hafner
Endpunkt des Moselradwegs ist Koblenz – und in jedem Fall eine eigene Reise wert. Von der Festung Ehrenbreitstein hat man den besten Blick aufs Deutsche Eck, wo die Mosel in den Rhein mündet. Hinauf gehts entspannt mit der Seilbahn über den Rhein
Komplettbuchung und Infos:
Beste Reisezeit: März bis November
Übernachtung: zahlreiche Hotels, Pensionen, Privatvermieter. Wer Sicherheit (und evtl. Gepäcktranport) möchte, bucht vor. Auch Spontanreisende finden jederzeit ein Zimmer.
Unterwegs: zahlreiche Straußenwirtschaften, Wein- und Heimatfeste entlang der Mosel, immer auf Radfahrer eingerichtet
Radverleih: an allen größeren Orten, auch mit Reparaturmöglichkeit. Einwegmiete, etwa von Trier nach Koblenz, problemlos.
Bahnanschluss: Auf vielen Kilometern fährt die Moselbahn parallel zum Radweg. Man kann bei Bedarf problemlos vom Rad in den Zug wechseln
Nützliche Links:
Rheinland-Pfalz-Touren-App:
Trier:
https://fahrradstation.bues-trier.de/verleih-hbf/
https://www.fes.de/museum-karl-marx-haus
Koblenz:
https://www.visit-koblenz.de/sehenswuerdigkeiten/kurfuerstliches-schloss
https://www.seilbahn-koblenz.de
https://tor-zum-welterbe.de/festung-ehrenbreitstein
Übernachtungsmöglichkeiten:
https://www.hotel-deutscher-hof.de/
https://www.zur-marienburg.de/
Schifffahrt:
https://www.moselrundfahrten.de/
Weingut Andre:
Erholsamer Schlaf: