Seit 2016 fährt verbindet der Kulturzug Berlin mit Breslau. Während der Bahnfahrt gibt es Lesungen, Konzerte, Theater, Karaoke, Quiz, Talks – alles mehrsprachig. Jetzt kommt eine zweite Strecke hinzu

Von Fred Hafner
Warschau. Fünf Stunden und acht Minuten dauert die Zugfahrt im Berlin-Warszawa-Express. Er überquert bei Frankfurt die Oder. Hält nach 2,5 Stunden in der polnischen Messestadt Poznan, ebenfalls eine Reise wert. Nach weiteren 2,5 Stunden endet der Zug in Warschau. Die Fahrzeit auf der Schiene zwischen der deutschen und der polnischen Hauptstadt ist im Vergleich mit Auto und Flugzeug absolut konkurrenzfähig. Im Bordbistro gibt es polnische Gerichte wie Żurek, die berühmte polnische saure Mehlsuppe auf Basis einer Sauerteigbrühe für umgerechnet 3,90 Euro. Oder Kotlet Schabowy für 8,90 Euro. Dazu passt ein Kompott (Limonade aus gepressten Beerenfrüchten) für 2,10 Euro oder ein Bier, 0,5 l für 2,80 Euro. Im Speisewagen wird alles noch frisch gekocht, gebraten, zubereitet. Keine abgepackten Salate, keine Mikrowelle, keine Suppen aus eingeschweißten Plastikschläuchen – wie leider in vielen Speisewagen Westeuropas längst Standard. Bestellen Sie morgens am besten Rührei, aber auf polnische Art: mit Zwiebeln, Petersilie, Dill und ganz wichtig: schwarzem Pfeffer. Und kurz vor der Ankunft, zwischen Posen und Warschau, vielleicht noch ein paar Pierogi, gefüllt mit Fleisch oder Quark – oder Süßem. Oder lieber doch das Bigos? Klar ist auf jeden Fall: Die Fahrt vergeht wie im Fluge, ist aber viel schöner als selbiger.

Jetzt gibt es einen Grund mehr, die Bahn dem Flieger vorzuziehen: Der Kulturzug zwischen Berlin und Polen bekommt eine neue Strecke. Im zehnten Jahr seines Bestehens zwischen Berlin und Wroclaw (Breslau) startete kürzlich ein Ableger zwischen der deutschen und der polnischen Hauptstadt: Von 11. bis zum 16. Februar 2025 rollte der Kulturzug mit Pilotfahrten insgesamt sechsmal zwischen Berlin über Posen nach Warschau und zurück. Ob daraus eine regelmäßige Verbindung wird, ist noch offen.
Unter dem Motto „Städte bewegen – Miasta Poruszają“ gab es in einem extra angehängten Wagen Kultur in allen Facetten. „Unser Kulturzug mit seinem mehrsprachigen, wechselnden Programm an Bord ist ein europaweit einmaliges Projekt. Wir sind damit seit 2016 zwischen Berlin und Breslau sehr erfolgreich und verbinden Regionen, Generationen und Kulturen über Ländergrenzen hinweg“, sagt Oliver Spatz, Programmleiter. „Mit der Strecke Berlin–Warschau zünden wir jetzt die nächste Stufe.“

Die Vorbereitungen dafür waren immens: Denn während auf der Fahrt nach Breslau seit zehn Jahren ein Regionaltriebwagen zur Theaterbühne wird, wurde für den „Kulturzug 2.0“ auf der Warschau-Strecke an einen regulär fahrenden EuroCity ein Salonwagen angehängt und zum Kulturwagen umgestaltet. Auch die Reisendenströme sind komplett unterschiedlich: Während zwischen Berlin und Breslau vor allem Touristen und Backpacker unterwegs sind, viele inzwischen auch extra wegen des Kulturzugs reisen, sitzen im EuroCity nach Warschau vor allem Geschäftsleute. Sie müssen zu Terminen reisen oder zu Arbeitsplätzen pendeln.
„Die Verhandlungen und Absprachen mit verschiedensten Partnern waren aufwändig und langwierig. Aber sie führten jetzt zum Erfolg. Der Kulturzug Berlin-Poznań-Warszawa steht auf der Schiene!“, sind Oliver Spatz und das gesamte Team zu Recht stolz. Der Kulturzug 2.0 wurde initiiert und umgesetzt von der landeseigenen Kulturprojekte Berlin GmbH. Er wird gefördert durch das Land Berlin und unterstützt durch die Städte Posen und Warschau. „Wir haben extra Programmpartner aus Posen und Warschau integriert“, sagt Ewa Wille von der Programmdirektion. „Den Fahrgästen bieten wir verschiedenste künstlerische Formate wie Konzerte, Lesungen, Performances, Talks oder Workshops. Und das alles kostenfrei, die normale Bahnfahrkarte genügt.“

Verschiedenste künstlerische Formate: Konzerte, Lesungen, Performances, Talks oder Workshops. Alles kostenfrei, die normale Bahnfahrkarte genügt
Damit der Zug zur Bühne wird, haben die Verantwortlichen sich mächtig ins Zeug gelegt: „Üblicherweise finden in diesem Wagen Konferenzen statt. Wir haben fast alles ausgebaut. Wir haben extra eine Designerin beauftragt, aus diesem Salonwagen eine Bühne zu bauen", sagt Projektleiterin Corinna Scheller. Und so gab es eine Performance-Bühne, Zuschauerplätze und -bänke, Lichtspots, Plakate und Bilder an den Wänden, eine Bibliothek sowie diverse Ausschmückungen. Und programmatisch? Gab es Lesungen, Konzerte, Karaoke-Abende, Sprachkurse, Diskussionsrunden, Quiz – und das alles mehrsprachig. Einzige Ausnahme: bei der jeweils abends stattfindenden „rollenden Diskothek“ bedurfte es keiner Übersetzungen.
Die Vielfalt des Programms, jeweils vier bis fünf Stücke während einer Fahrt, bei jeder der sechs Fahrten verschieden, war wirklich beeindruckend! Reisende aus dem gesamten Zug – Polen und Deutsche, aber auch Amerikaner, Italiener, Schweizer Australier – kamen teils in großen Gruppen zum Theaterwagen. Der Zuspruch war enorm. Vereinzelt wurde es sehr eng und selbst Stehplätze rar im früheren Salon-, nun Theaterwagen.

Das Ziel wurde erreicht: Für die Grenzregion, für Europa und für mehr Verständigung zwischen Deutschen und Polen zu werben. Das bestätigen Fahrgäste. „Ich wusste, dass dieser Tage der nächste Kulturzug, diesmal zwischen Berlin und Warschau, rollt. Ich habe extra diesen EC gebucht“, sagt Agnieszka Lewandowska. Sie ist regelmäßig geschäftlich zwischen Warschau und Berlin unterwegs. „Es ist wirklich gut, dass die Programmmacher vor allem auch den jungen Menschen die Geschichte unserer beider Länder nahebringen. Uns vereint viel mehr als wir denken“, so die Mittfünfzigerin. Bernd Peters wohnt in Frankfurt(Oder), fährt heute nach Poznan. „Ich habe vorher gar nichts von dem Angebot gewusst und war komplett überrascht. Wenn es diese Kulturangebote im Zug jetzt öfter gibt, fahre ich nur noch mit der Bahn nach Posen und Warschau.“ Liam Clerence ist mit seiner Freundin Jody, beide aus Washington, auf sechstägiger Europareise: „Wir fahren heute von Warschau nach Berlin. Dass Bahnfahren in Europa besser funktioniert als bei uns in den USA, weiß man ja inzwischen. Wenn ich aber zu Hause erzähle, dass während der Bahnfahrt noch Theater geboten wird, glaubt uns das kein Mensch“, sind Liam und Jody überzeugt.

Fazit: Der Ableger des seit zehn Jahren zwischen Berlin und Breslau verkehrenden Kulturzugs ist geboren. Der Kulturzug funktioniert auch zwischen Berlin und Warschau. Ob aus dem (erfolgreichen) Pilotprojekt nun ein regelmäßiges Angebot im EC Berlin-Warschau wird, ist noch offen. Dafür müssen vor allem DB und PKP, auch ebenso viele weitere deutsche und polnische Partner Finanzen und Organisation regeln. Dass alle Partner bei gutem Willen erfolgreich sind, ist jetzt bewiesen. (Februar 2025)

Infos und Buchung:
Der Kulturzug Berlin-Wrocław wird in diesem Jahr wieder ab 11. April fahren.
Ab Anfang März stehen die Fahrplandaten und Buchungsmöglichkeiten auf dieser Seite:
Alle Informationen zum Kulturzug Berlin-Warschau sowie ein ausführlicher Programmkalender gibt es hier: