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Auf Schienen durch die Wüste

Mit dem Desert Express durch Namibia: Der Zug überbrückt nachts die gewaltigen Entfernungen von Süd nach Nord. Am Tage ziehen Oryx-Antilopen und Giraffen am Zugfenster vorbei 

Namib, die älteste Wüste der Welt

Namib, die älteste Wüste der Welt.

 

Von Fred Hafner

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Windhoek. "Heute haben wir Steak vom Strauß, Carpaccio vom Krokodil oder Braten vom Springbock, Mister“, trägt George im Barwagen die Abendkarte vor. George ist Buschmann und spricht sehr gut Deutsch. Vor allem aber ist er von morgens bis abends fröhlich. Georges Vorfahren stammen von den Sanen ab, den Ureinwohnern im südwestlichen Afrika. Der 27-Jährige ist glücklich, denn er bekam eine Stelle als Kellner im Desert-Express, dem Aushängeschild der Eisenbahn Namibias. Gemüse ist in diesem Land exotisch. Auch die Auswahl an Früchten ist karg. Namibia gilt als eines der trockensten Länder der Erde. Dafür gibt es Fleisch, von morgens bis abends – und immer reichlich.

 

Namibia, übersetzt „leerer Platz, Ort, wo nichts wächst“, ist eines der dünnst besiedelten Länder der Erde. 1,9 Millionen Einwohner leben auf 824.000 Quadratkilometern - statistisch teilen sich zwei Einwohner einen Quadratkilometer! Es gibt 1.700 Kilometer Sandstrand, dazu jede Menge Wüste, und bei 300 Sonnentagen jährlich fast immer blauen Himmel. 13 Volksgruppen leben hier, allerdings sind 40 Prozent der Einwohner arbeitslos. Wer Arbeit hat, verdient durchschnittlich 120 Euro im Monat.

Bahnhofszene in Windhoek, Hauptstadt Namibias

Hier in der Hauptstadt Windhoek, aber auch auf kleineren Stationen: Mit Tanz und Gesang werden die Zugreisenden empfangen

So freut sich auch Jeneth über ihren Job im Desert-Express. Sie hat schon die Betten gemacht, als wir nach dem üppigen Dinner in unser Abteil zurückkehren. Auf dem Tisch stehen frische Blumen. Druckfrisch liegt der Tagesplan für morgen aus. Jeneth, unsere Wagenschaffnerin, ist ein weiterer von elf „guten Geistern“ im Desert-Express. Sie kümmert sich stets um unser Wohlbefinden, fragt morgens nach Kaffee oder Tee, bringt nachts ein zweites Kissen oder Decke, putzt unterwegs die Scheiben innen und außen, räumt auf, sobald wir das Abteil verlassen.

 

Maximal 46 Gäste reisen im Desert-Express. Dennoch ist er kein Luxustrain, eher ein bequemer Schlafwagenzug mit Restaurant, Bistro, Barwagen, Bordbibliothek. Klimaanlage. Dusche, WC gibt es in jedem Abteil. Sogar ein Arzt ist an Bord.

Zwei Jahre benötigten 40 qualifizierte Arbeiter und Kunsthandwerker, den Zug in Namibia aufzubauen. Sie demontierten in insgesamt 250.000 Arbeitsstunden ausrangierte südafrikanische Wagen, bauten sie mit namibischen Materialien wieder auf. Die vier Schlaf-, ein Restaurant-, ein Salon-, ein Bistro- und ein Konferenzwagen werden von einer 22.000 PS-starken Diesellok auf 1.067 Millimeter-Spur gezogen.  

Kuduuherde und Giraffe am Wasserloch in Namibia

Kuduu-Antilopenherde und Giraffe am Wasserloch, kein Löwe in Sicht: Es gibt eine klare Hierarchie, wer wann trinken darf. 

Giraffe überquert Straße vor Kleinwagen

Giraffe mit Kleinwagen.

In solchen Momenten fühlen wir uns in unserem Tourbus wohler

Das geht eher gemächlich. Denn der Desert-Express ist auch kein Express. Vielmehr schaukeln wir meist mit 30 bis 50 km/h über Afrikas Gleise. Doch er ist ein Zug, der die Entfernungen interessant und gleichzeitig erträglich macht. Denn Namibia ist mehr als doppelt so groß wie Deutschland. Um alle Höhepunkte in zehn Tagen zu besuchen, müssen wir die Nacht zum Fahren nutzen. Da leisten die Schlafwagen mit den klangvollen Namen „Meerkat“, „Springbok“, „Oryx“, oder „Kokerboom“ gute Dienste.

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Aber unser Desert-Express ist viel mehr als ein Zug: Er ist für eine gute Woche unser rollendes Hotel. Während wir am Tage Ausflüge unternehmen oder mit kleinem Handgepäck mal in einer Wüstenlodge übernachten, bleiben großes Gepäck und Wertsachen (sogar einen Tresor hat jedes Abteil!) sicher im Zug. Kehren wir abends müde und staubig zurück, empfängt uns die Besatzung mit einem Willkommenstrunk. Und der erneuten Frage, welche Fleischsorte wir zum Dinner bevorzugen: „Oryx-Antilope oder Kudu, Sir“. Namibia ist nichts für Vegetarier!

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Schon nach den ersten 16 Stunden Fahrzeit hat uns der Desert-Express aus der Hauptstadt Windhoek 600 Kilometer in Richtung Süden befördert. Früh am Morgen erreichen wir die Station Holoog, ein kleiner Haltepunkt inmitten der Einsamkeit. Wenig später stehen wir in der aufgehenden Sonne am Fish-River-Canyon, einem der Naturwunder Afrikas: 160 Kilometer lang, 27 km breit und 500 Meter tief! Die Schlucht, die der Fluss hier in das Plateau geschliffen hat, bildet das zweitgrößte Erosionstal der Welt – nach dem Grand Canyon.

 

Mittags geht es weiter nach Keetmannshoop - Zeit für einen Kurzausflug zum Köcherbaumwald. Die archaisch anmutenden Bäume inmitten der Felswüste bieten hervorragende Fotomotive. Der Abend klingt beim Sundowner im Barwagen bei Windhoek-Lager nach deutschem Reinheitsgebot, Guave-Saft oder Cappuccino für umgerechnet je einen Euro aus. Selbst für einen Schoppen guten südafrikanischen Weins will George nur 12 Rand (1,10 Euro).

Fish-River-Canyon, Naturwunder Afrikas

Fish-River-Canyon, ein Naturwunder Afrikas:

160 km lang, 27 km breit, 500 Meter tief

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Nach einer weiteren Nacht im Zug erreichen wir die Namib, die älteste Wüste der Welt. Mit Bussen und Allrad-Fahrzeugen geht es über Hunderte Kilometer tief hinein in den Naukluft-Nationalpark. Die Busfahrer sind echte Könner auf diesen Schotterpisten, Teerstraßen gibt es wenige Kilometerweit künden Staubfahnen entgegenkommende Fahrzeuge an. Die ziegelrot leuchtenden Wanderdünen sind mit 350 Metern die höchsten der Welt. Als Bahnfahrer genießen wir das Privileg, sie im Morgenlicht wieder fast allein zu erleben. Das ist die Zeit für einmalige Fotomotive. Mietwagenfahrer erscheinen erst viel später. Da herrschen schon wieder fast 30 Grad und gleißendes Sonnenlicht.

An diesem Abend übernachten wir in einer Lodge. Nachmittags wandern wir durch die Steppe – nicht gerade entspannt. Der Blick geht ständig nach unten. Zu eindrucksvoll hatte man uns vor der schwarzen Mamba, der giftigsten Schlange der Welt, gewarnt. Auch die Puffotter könnte gefährlich werden, hieß es. Als wir abends durch die Lodge-Anlage laufen, grast neben dem Pool friedlich ein Dutzend Oryx-Antilopen. Wir fangen uns schnell, denn auch der Blick zum nächtlichen afrikanischen Sternenhimmel ist einmalig. In der reinen, klaren Luft und ohne störende Lichtquellen ist das Kreuz des Südens klar erkennbar.

 

Scharfer Kontrast am nächsten Morgen: Wir wechseln aus der Wüste an die kalte Atlantikküste. Zuvor hatte uns der Lodgebesitzer noch eine „Stadt“ angekündigt: Solitaire. Nach 400 Kilometer Fahrt entpuppt sich der Ort als eine Ansammlung dreier Gebäude: Wohnhaus, Tankstelle, Schuppen. Der Pächter ist Wirt, Bürgermeister und Pastor in einem. Er lebt allein. Seine Frau, heißt es, sei von einem Einkaufsbummel ins weit entfernte Windhoek niemals zurückgekehrt. Egal. Der einsame Mann macht gute Geschäfte. Er verkauft den besten Apfelkuchen Namibias.

Straßenszene in Swakopmund: Ankerplatz, Hansa, Hotel, Haus von Moltke

"Ankerplatz", "Haus von Moltke", "Hansa Hotel": 

In Swakopmund ist die deutsche Vergangenheit an jeder Straßenecke allgegenwärtig

Wasser füllen für den Zug in Namibia

Wasser ist Leben, besonders in Namibia: Während unserer Aufenthalte füllt die Zugcrew nach 

Mit 14 Grad Wassertemperatur lädt der Atlantik nicht gerade zum Baden ein, obwohl Swakopmund früher als südlichstes Seebad Deutschlands bezeichnet wurde. Hier ist die 30-jährige Kolonialzeit (1888 bis 1918) Südwestafrikas allgegenwärtig: Gebäude mit Giebeln aus Wilhelminischer Zeit, Altes Amtsgericht, Wernesgrüner Bierstube, deutsche Apotheke, Hanse-Hotel, Bismarck- und Molkestraße. Am Ankerplatz wirbt der Fleischer mit Schlachteplatte und „Belegten Brötchen für zwischendurch“. Umgangssprache ist deutsch, 30 Prozent der Einwohner sind deutscher Abstammung. Natürlich gibt es deutsche Bücherläden. Und die deutschsprachige „Allgemeine Zeitung“ (AZ) hat zumindest keine Auflageverluste (30.000).

 

Am Abend erreichen wir wieder „unseren“ Zug. Der Desert-Express war inzwischen nach Swakopmund gefahren. Jeder freut sich nach zwei Lodge-Übernachtungen auf sein Abteil. Jeneth, George und die anderen Bediensteten strahlen begeistert, dass wieder Leben in die Wagenschlange einzieht. Im Restaurant offeriert George heute Abend Biltong, eine afrikanische Nationalspeise. Natürlich ist es Fleisch: verschiedenste Sorten, diesmal klein geschnitten und luftgetrocknet.

 

300 Kilometer weiter erblicken wir aus dem Abteilfenster am nächsten Morgen die Spitzkoppe. Das „Matterhorn“ Namibias ist 1.728 Meter hoch! Die mächtigen Granitblöcke scheinen über tiefe Kluften zu balancieren, einzeln stehende Akazien prägen die Landschaft. Wir entdecken Felszeichnungen der San-Buschleute. George strahlt, als wir ihm später davon berichten. Das ist das Land der Damaras, von extremer Armut gezeichnet. Wellblechhütten dienen als Behausung, die Regierung stellt zumindest Wasser bereit. Die Damaras verdienen ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von selbst gesammelten Steinen. Angesichts dieser Tristesse feilscht niemand um Preise. 

Alkoholfreie Cocktails am Zug, Desert-Express

Nach jedem Tagesausflug erwartet die George seine Gäste mit alkoholfreien Cocktails

Crew des Desert-Express

Und die gesamte Zugcrew freut sich auf die Rückkehr "ihrer" Reisenden

In der nächsten Nacht geht es auf Schienen quer durch das Otavi-Hochland, dem Etoscha-Nationalpark entgegen. Hier im hohen Norden liegt mit 22.275 Quadratkilometern Namibias größtes Tierschutzgebiet. In Busse und Jeeps umgestiegen, erleben wir ein beeindruckendes Schauspiel: Giraffen, Zebras, Gnus, Springböcke, Warzenschweine, Schakale, Kudus, Oryx-Antilopen, exotische Vögel saufen friedlich an der Wasserstelle. Doch die Idylle trügt: Sobald Löwen oder Geparden auch nur gewittert werden, stiebt alles auseinander. Elefanten räumt die übrige Tierwelt zumindest respektvoll Platz ein.

Weiter geht´s zur Etoscha-Pfanne, einem riesigen ausgetrockneten Salzsee. Er erstreckt sich über 6.133 Quadratkilometer, ist 120 Kilometer lang und 72 km breit. Nur während der Regenzeit füllt sich der See ein paar Zentimeter mit Wasser. Die übrige Zeit ist der Boden verkrustet und schimmert weiß-grünlich. Die Luft flimmert wegen der Hitze, in der Ferne sehen wir eine „Fata Morgana“.

 

Zu einer echten Schienensafari wird unsere letzte Etappe. Der Desert-Express rollt durch private Wildfarmen nach Windhoek. Giraffen, Springböcke, Strauße stehen direkt neben den Gleisen. Nach 2.290 Zugkilometern sind wir in der Hauptstadt. George und Jeneth haben Tränen in den Augen, als wir uns vom gesamten Zugteam verabschieden. Uns ist klar: Wir kommen wieder. (Mai 2008)

Desert Express in Namibia

Desert Express in Namibia: Am Ende einer langen Reise

Sonnenuntergang in Namibia

Der letzte Sonnenuntergang vor der Abfahrt. Wir kommen wieder.

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Infos:

 

Der Desert-Express hat acht Wagen: vier Schlafwagen, dazu Salon-, Restaurant-, Bistro- und Konferenzwagen. Er wird von 2.200 PS-Dieselloks mit 30-50 km/h gezogen. In Namibia ist Schmalspur mit 1.067 mm Schiene verlegt. Das Schienennetz stammt größtenteils noch aus der Kolonialzeit und ist insgesamt 2.382 km lang.

 

Namibia ist eines der dünnstbesiedelten Länder der Welt. Auf 824.000 Quadratkilometer Fläche (mehr als zweimal so groß wie Deutschland) leben nur 2,1 Millionen Einwohner.

 

Es gibt 300 Sonnentage im Jahr. Namibia ist ein ganzjähriges Reiseziel, wobei der Winter (Mai bis September) mit Temperaturen bis 30 Grad bevorzugt ist. Im Sommer (November bis Februar) wird es über 40 Grad heiß. Das Klima ist ganzjährig extrem trocken. Sonnenschutz, Hut und viel Wasser sind wichtig. Gesundheitsprophylaxe ist nicht vorgeschrieben. Für Nordnamibia (Etoscha-Nationalpark) empfiehlt sich ein stand-by-Medikament gegen Malaria.

 

40 Prozent der Namibianer sind arbeitslos. Der Tourismus boomt (plus 18 Prozent jährlich derzeit) und soll mehr Beschäftigung bringen. Das Durchschnittseinkommen liegt bei monatlich 120 Euro.

 

Der namibische Dollar ist an den südafrikanischen Rand gekoppelt.

 

Die Infrastruktur ist aus Kolonialzeiten relativ gut. Es gibt 5.400 km Teer- und 37.000 km Schotterstraßen („pads“). Sie werden regelmäßig gepflegt. Dazu kommen 2.382 km Schienen.

 

Namibia kann man sehr gut individuell bereisen. Lodges in einfacher und gehobener Ausstattung finden sich landesweit, auch in der Wüste. Autovermietungen, Tankstellen und Supermärkte ebenfalls. Flugverbindung mit Lufthansa/South African Airways über Kapstadt oder Johannisburg nach Windhoek oder mit Air Namibia direkt von/nach Frankfurt a.M.

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