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Auf den Spuren der 
Bauern-Uhrmacher

Die Region Jura & Drei-Seen-Land sind die Wiege der weltweiten Uhrenindustrie. Von hier kommen etwa Rolex und Omega, aber ebenso edelste Schokolade. Pittoreske Altstädte und mittelalterliches Flair sind immer dabei 

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Arbeiter, unter ihnen viele Frauen, in einer der ersten industriellen Uhrenfabriken in Biel im 18. Jahrhundert

Von Fred Hafner

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Biel. Die Zeit messen zu können, war schon immer ein wichtiges Anliegen für die Menschen. Zuerst wurden Kalender geschaffen, um die Abfolge der Tage bestimmen zu können. Später rückten dann die Stunden ins Zentrum des Interesses. Daraus wurden Minuten und Sekunden. Heute misst man – etwa in der Raumfahrt oder im Sport – in Millionstel Sekunden!

Vom Schweizer Jura, der Hochburg der Uhrmacherei, nahm dieses Kunsthandwerk der Präzision seinen Ausgang. Der Grundstein für das Schweizer Uhren-Patrimonium wurde in zwei Städten gelegt, die zum Symbol für diese Handwerkskunst geworden sind: Le Locle und La Chaux-de-Fonds, von Karl Marx als „gewaltige Manufaktur“ bezeichnet. Beide Städte sind seit 2009 von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt.


Heute ist die Region Jura & Drei-Seen-Land Heimat der Schweizer Uhrenindustrie. Neben vielen anderen sind hier die weltbekannten Marken Tissot, Longines, Zénith, Maurice-Lacroix, Oméga, Swatch und Girard Perregaux zu finden. Sie alle begannen mit hochpräzisen, mechanischen Uhrwerken. Die wurden später zum Vorläufer von Taschenuhren und Pendeluhren.

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Die Altstadt von Biel glänzt mit ihrem mittelalterlichen Flair. Die Uhrenindustrie, im Hintergrund der grüne Rolex-Schriftzug, dominiert die  Stadt bis heute

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Die Uhrmacherei entstand aus einem Zeitvertreib. Wenn die Bauern ihrer Arbeit im Winter nicht nachgehen konnten, versuchten sie sich an einem kniffligen Handwerk: Uhrmacherei. Im ganzen Jura gehörte diese Tätigkeit zum Alltagsleben. An den langen Wintertagen sassen die Bauern in aller Stille nahe beim Fenster, um bei der Zusammensetzung mechanischer Uhren das Tageslicht für ihre minutiösen Handgriffe zu nutzen. 

 

Im Laufe des 19. Jahrhunderts gaben zahlreiche Bauern ihre Feldarbeit auf, da die Fertigung von Uhrenteilen mehr Geld versprach. Also begaben sie sich an die Herstellung von Maschinen, die ihnen höhere Produktionszahlen ermöglichten. Das Streben nach immer grösserer Produktionskapazität regte den Erfindergeist der Einwohner an. Es entstanden kleine Fabriken, die Drehbänke, Fräsen und andere Maschinen herstellten – eine neuartiger als die andere. Sie waren die perfekte Antwort auf den Bedarf der Uhrmacher. 

Die schmalste Uhr der Welt ist nur 1,5 Millimeter dünn ...

Der neueste Schrei sind dagegen sogenannte Püscheluhren: Pusten, um die Zeit zu sehen

Von Genf aus verbreitete sich die Uhrenindustrie ab Mitte des 16. Jahrhunderts nordöstlich entlang des Juras – in Biel wurde sie aktiv gefördert und war damit Katalysator der industriellen Entwicklung. Im Zuge der Industrialisierung entstanden die ersten Manufakturen und Uhrenfabriken. Und es konkurrierten zunehmend die kleinen, spezialisierten Ateliers. 1872 wurde auf Anstoss des Uhrmachers Emil Brunner-Bridel in Biel die Uhrmacherschule eröffnet. Die Schweizer Stadt förderte ab 1848 die Ansiedlung von Uhrenarbeitern aus dem Jura und zählte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weit über 100 produzierende Uhrenfirmen, Uhrenhersteller und Zulieferer. Davon sind heute weltbekannte wie  Rolex, Omega und Swatch. 

Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte wechselten sich Krisen und Höhenflüge in der Uhrenindustrie ab. In der Geschichte Biels spielte sie immer eine entscheidende Rolle in der wirtschaftlichen und damit auch sozialen und politischen Entwicklung der Stadt. 

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Ausgestellt ist dies alles im "Cité du Temps – französisch für "Stadt der Zeit" von Biel. Hier sind insgesamt mehr Zehntausend Zeitmesser – von Omega und Swatch – zu bewundern und bestaunen

Eindrucksvolle Filme erzählen die Geschichte der Zeitmessung im Laufe der Jahrhunderte

Biel besitzt eine weitere Besonderheit. Sie ist die größte zweisprachige Stadt der Schweiz! Hier steht nicht nur die Wiege der Uhrmacherkunst. Biel wird oft auch als Industriestadt wahrgenommen. Aber die Stadt überrascht  Besucher mit ihrem charmanten mittelalterlichen Altstadtkern. Inmitten des geschäftigen Treibens finden sich pittoreske Plätze, kleine Läden und Terrassen, die zum Flanieren einladen. Was Biel jedoch einzigartig macht, ist seine Zweisprachigkeit. Hier hört man auf Schritt und Tritt sowohl Deutsch als auch Französisch in den Straßen. Die Straßenschilder und öffentlichen Gebäude sind in beiden Sprachen beschriftet, was der Stadt einen besonderen Charme verleiht und ein Spiegelbild ihrer kulturellen Vielfalt ist.

 
Die Ursprünge dieser Zweisprachigkeit liegen, wie vieles im Jura, auch hier in der Uhrenindustrie begründet. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Biel zur führenden Uhrenmetropole der Schweiz. Zahlreiche Uhrmacher aus dem Jura fanden hier Arbeit und brachten die französische Sprache mit. Diese Verbindung zur Uhrmachertradition ist bis heute spürbar – renommierte Marken wie Rolex, Omega und Swatch haben hier ihren Hauptsitz.

 

Neben der Uhrenindustrie haben sich in Biel und Umgebung auch sogenannte „Uhren-Dekorateure“ niedergelassen. Natalie ist eine von ihnen. Sie macht teure, hochwertige Uhren noch schöner. Wie das geht? „Wir gravieren, schleifen, emaillieren die bis zu 350 Einzelteile einer Uhr“, erzählt sie. Da wird das Gehäuse auch schon mal mit zusätzlichen Edelsteinen besetzt, die den hohen fünfstelligen Wert einer Uhr glatt noch einmal verdoppeln. Auftraggeber sind Firmen, andere Uhrmacher und mitunter auch vermögende Privatpersonen. 20 bis 30 Stück der Luxusuhren verschönert Natalie monatlich, die Auftragslage ist sehr stabil.

Nathalie ist "Uhren-Dekorateurin". Sie verschönert in aufwendiger Handarbeit ohnehin schon sündhaft teure Luxusuhren. Deren Wert verdoppelt sich dann rasch noch einmal, etwa von 80.000 auf 160.000 Euro

Shona ist eine erst 26-jährige Uhrmacherin, die einen anderen Weg geht. Sie produziert individuelle Uhren, natürlich allesamt hochwertige Einzelstücke. Aktuell fertigt sie eine Einzelkollektion von nur 12 Uhren, jede benötigt vier Monate Produktionszeit und wird am Ende dann jeweils fast 100.000 Euro kosten. 

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Shona ist erst 26 Jahre jung: Sie kauft einzelnen Uhrenkomponenten ein und fertigt dann, ebenfalls in aufwändiger Handarbeit, hochwertige Einzelstücke. Jede Uhr wird später bis zu 100.000 Franken kosten, allerdings bleibt ihr davon längst nicht so viel übrig ...

Die Cité du Temps – französisch für Stadt der Zeit – liegt im Herzen von Biel. 

Dieser besondere Ort widmet sich gänzlich der Zeit und vereint den verspielten, fröhlichen Stil der Marke Swatch und den luxuriösen Charakter von Omega unter einem Dach. Die Besucher haben die Möglichkeit in zwei verschiedene Welten der Uhrmacherkunst einzutauchen, welche in zwei Museen präsentiert werden: Omega Museum und Planet Swatch. 

Die Cité du Temps dient als besonderer Treffpunkt für Uhrenliebhaber, Touristen und interessierte Besucher aus aller Welt. Hier treffen zwei von einander unabhängige Museumsräume der Marken Swatch und Omega, verteilt auf zwei Etagen, aufeinander. Ausgestattet mit modernen interaktiven Technologien laden sie die Besucher ein, die verschiedenen Welten der beiden Marken in zwei Museen zu entdecken. 

 
Ein weiteres Merkmal, das Biel auszeichnet, ist seine Architektur. Nach Tel Aviv verfügt Biel über die meisten Bauhaus-Gebäude. Der Bauhausstil, auch bekannt als Neues Bauen, prägt das Stadtbild und verleiht Biel eine moderne und avantgardistische Note. Biel bietet ein besonderes Zusammenspiel aus Geschichte, Kultur und Innovation.

 

Biel hat eine belebte Gastro-Szene. Abends kann man eine Genusstour buchen. Sie führt in drei beliebte Bieler Gastronomie-Betriebe und deren spannende Konzepte. Der Abend beginnt in der Bar "Sauvage" mit einem Glas Wein und einer kurzen, informativen Einführung zum Thema Naturwein. Danach geht es weiter zum Restaurant ecluse. In dieser ehemaligen Kompassfabrik kommt der Gast in den Genuss einer Vorspeise und eines Hauptgangs aus regionalen Produkten kommt. Nach dem Essen lädt der Restaurantchef zu einem kleinen Verdauungsspaziergang durch den Garten ein, bei dem er mehr über das nachhaltige Konzept des Restaurants berichtet. Als süßen Abschluss geht es ins Restaurant Lokal, wo ein köstliches Dessert serviert wird. 

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Isabelle gibt Uhrmacherkurse. Bei ihr kann man nach Anmeldung seine eigene Uhr zusammenschrauben

Das Jura und das Drei-Seen-Land bieten neben der Uhrenmetropole Biel zwei weitere besondere Städte: La Chaux-de-Fonds und Le Locle. Auch sie sind untrennbar mit der Geschichte der Uhrmacherindustrie verbunden. Mehr noch: Diese beiden Städte sind aussergewöhnliche Beispiele für die Symbiose zwischen Industrie und Stadtplanung. In La Chaux-de-Fonds nahm alles seinen Anfang nach einem Brand 1784. Der Architekt Junod ersann einen Plan für den Wiederaufbau der Stadt. Dieser sah Massnahmen für Sicherheit und Gesundheit vor, um die Ausbreitung von Feuer zukünftig zu verhindern. Gleichzeitig wollte er den Einwohnern Flächen für Gemüsegärten zur Verfügung stellen, nötigen Raum für die Schneeräumung bieten und vor allem für optimales Licht in den Gebäuden sorgen. 

Das Licht ist natürlich der wertvollste Faktor für die Uhrenmanufakturen damaliger Zeit, die mikroskopisch kleine Teile zusammenfügen müssen. Im 19. Jahrhundert waren Wohnungen und Uhrmacherwerkstätten in denselben Gebäuden untergebracht. Die Werkstätten befanden sich in der Regel im obersten Stockwerk, wo große Fenster das Licht einströmen ließen. An den Fenstern entlang wurden sogenannte Lichtbänder für die Uhrenmontage eingebaut. So boten La Chaux-de-Fonds und Le Locle bis heute massgeschneiderte Architektur für die Uhrenindustrie.

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Das Schokoladenwerk Chocolats Camille Bloch AG hat eine lange Tradition, wirkt von außen eher nüchtern ...

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...präsentiert sich aber von innen voller Genuss- und Sinnenfreuden. Im angeschlossenen Schokoladenmuseum finden mehrfach täglich Schauvorführungen statt

Wer nun denkt, in der Region dreht sich alles nur um Uhren, ist falsch programmiert. Ebenso exklusiv ist hier die weltweit ausgezeichnete und geschätzte Schokoladenindustrie. Die Chocolats Camille Bloch AG etwa ist ein traditionsreiches Familienunternehmen mit Sitz im Berner Jura. Es wurde 1929 von Camille Bloch gegründet und wird heute in dritter Generation von Daniel Bloch geführt. Das Besucherzentrum empfängt jährlich mehr als 75.000 Gäste, die sich hier über die Anfänge, Gegenwart und Zukunft der Schokoladenproduktion informieren können. Es zeigt, wie drei Generationen über Jahrzehnte Werte wie Authentizität, Leidenschaft und Engagement weitergegeben haben und als Familienunternehmen Kultmarken wie Ragusa und Torino geschaffen haben. 2023 setzte allein die Chocolats Camille Bloch AG mehr als 3.200 Tonnen feinste Schokolade und Schokoladenspezialität weltweit ab. Ihr Umsatz lag bei über 60 Millionen Schweizer Franken. 

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Ragusa lautet die weltbekannte Marke von Chocolats Camille Bloch. Sie wird heutzutage in unzähligen Varianten (auch koscher!) produziert und weltweit exportiert

Bevor wir das Jura und Drei-Seen-Land verlassen, kehren wir allerdings nochmals zu den Uhren zurück. In La Chaux-de-Fonds beherbergt gleich neben dem Bahnhof das Musée international de l'horlogerie die weltweit größte Sammlung von Zeitmessern. Sie umfasst nicht nur Klein- und Großuhren aus dem In- und Ausland vom 16. Jahrhundert bis heute, sondern auch Werkzeuge, Maschinen, Instrumente, Automaten, Modelle und Rekonstruktionen von verschwundenen Objekten sowie Gemälde, Gravuren und ikonografische Sammlungen, die einen Zusammenhang zur Zeitmessung aufweisen. Interessierte benötigen hier mindestens zwei, drei Stunden, um die gesamte Uhrenausstellung zu bestaunen. 

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Das Uhrenmuseum in La Chaux-de-Fonds ist das weltweit größte. Was man mitbringen sollte? Zeit natürlich! 

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Es gibt Uhren in allen Formen und Varianten, aus aller Welt und natürlich aus allen Jahrhunderten zu bestaunen. Eine Reise durch den Zeitgeist ...

Fazit: Wenn Deutsche in der Schweiz urlauben, tun sie dies – aus naheliegenden Gründen – am häufigsten in der Deutschschweiz. 

In insgesamt 21 Kantonen ist Deutsch Amtssprache. Aargau, Appenzell, Bern, Basel, Graubünden, Luzern, St. Gallen, Schaffhausen, Solothurn, Schwyz, Thurgau, Uri, Wallis, Zug und Zürich sind nur einige der gesuchten Ziele. Danach folgen Reisen ins Tessin, in die italienischsprachige Schweiz. Ins Jura, in die frankophone Schweiz, zieht es hingegen nicht so viele Besucher aus Deutschland. Ein Fehler! Gerade der französische Teil der Schweiz hat viel zu bieten: weltbekannte hochwertige (Luxus-) Uhren, besondere Schokoladenmanufakturen, mittelalterliche Städte, smaragdgrüne Seen und natürlich auch hier immer dabei: vielfältige Landschaften und ein Mittelgebirge, das sich perfekt zum Wandern eignet. (April 2024)

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In La Chaux-de-Fond sind Wandgemälde allgegenwärtig: Hier ein Schmugglerhund mit diversen hochwertigen Chronometern beim Lauf über die nahe Grenze zu Frankreich. Und ein Uhrmachermeister bei der Arbeit

Info:

 

www.MySwitzerland.com

 

info@myswitzerland.com

 

https://www.j3l.ch/de/

 

https://camillebloch.ch/de/

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Anreise: 

Zug: über Basel nach Biel und La Chaux-de-Fond

Auto: über Basel nach Biel und La Chaux-de-Fond

Flugzeug: über Zürich, dann Mietwagen oder Bahn 

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