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Langsam aufwärts

Albanien war bis 1990 das "stalinistischste" Land des Ostblocks, schottete sich sogar gegen die sozialistischen Staaten ab. Inzwischen ist man weltoffen und freut sich über jeden Besucher mit ehrlichem Interesse.  Individuelle Reisen sind längst und gut machbar

Schmale Gasse mit Geschäften in Albanien

 

Von Fred Hafner

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Tirana. Der Flughafen von Tirana ist klein, wir stehen schnell mit unserem ebenfalls kleinen Gepäck am Taxistand. Die Fahrt ins Zentrum dauert 30 Minuten, der Verkehr ist um diese Mittagszeit mäßig. Die Hauptstadt ist die größte Stadt Albaniens. Sie liegt am Fuß der Berge, rund 30 km vom Meer entfernt. 

 

Tirana platzt seit dem Ende des Kommunismus praktisch aus allen Nähten: Aus dem ganzen Land kommen täglich neue Zuzügler, die hoffen, hier ein besseres Leben zu finden. Die Stadt pulsiert: Sie ist diejenige Stadt des Landes, die sich am schnellsten entwickelt.

 

450.000 Einwohner sollen derzeit hier wohnen, so genau weiß es keiner.

Tirana besitzt eine teilweise sehr farbenfrohe Architektur aus der osmanischen, faschistischen und sowjetischen Zeit. Pastellfarbene Gebäude säumen den zentralen Skanderbeg-Platz, der nach der Reiterstatue eines Nationalhelden benannt ist. Am nördlichen Ende des Platzes befindet sich das modernistische Historische Nationalmuseum, dessen Ausstellungen von der Vorzeit über die kommunistische Herrschaft bis hin zu den antikommunistischen Aufständen der 1990er-Jahre reichen. Teile der Stadt sind allerdings trist, von Plattenbauten dominiert und arg in die Jahre gekommen. 

Osmanische Einflüsse, dann wieder tristes Grau und Platte: Tirana bietet sehr verschiedene Architektur
Baustil der 70er Jahre in Tirana: Palast in Plattenbauweise

Osmanische Einflüsse, dann wieder tristes Grau und Platte: Tirana bietet sehr verschiedene Architektur

Unterwegs sehen wir immer wieder kleine Betonhalbkugeln, die sich bei nähere Betrachtung als Minibunker erweisen. Sie stammen aus der Zeit des letzten Diktators Enver Hoxha, der das Land fast komplett abgeschottet hatte. Die Bunker entstanden im gesamten Land Albanien in den 1970er- und 1980er-Jahren. Sie sollten der Verteidigung der damaligen Sozialistischen Volksrepublik dienen - im Fall einer Invasion feindlicher Truppen. Das Konzept: 1 Bunker für je 4 Albaner – bei einer Bevölkerungszahl von 750.000. Auch wenn es sie massenhaft gab, und die Bunker noch heute auffällig im Straßenbild sind. So viele sind es dann doch wieder nicht. Sie hätten also auch damals kaum ausgereicht, um jedem Albaner Schutz zu bieten. Immerhin hätte es dann bei knapp 3 Mio. Einwohnern 750.000 Bunker gebraucht. 

Tirana: Minibunker für vier Personen zeugen auch heute noch von der Zeit bis 1990.
Bunkermuseum in Tirana

Minibunker für vier Personen zeugen auch heute noch von der Zeit bis 1990. Einige dienen Sprayern als willkommene Abwechslung (Foto links), andere sind als Mini-Museum ausgebaut (Foto rechts) 

Wer sich für diesen Teil der Geschichte interessiert, die es so in keinem anderen Land gab, dem sei das Bunkermuseum in Tirana empfohlen. Wir habe es besichtigt und waren sehr angetan: Es arbeitet die Geschichte dieser „kleinen Verteidigungsinseln“ sehr sachlich auf.

 

Albanien war bis Anfang der 1990er Jahre das „stalinistischste“ Regime Europas, falls es diese Steigerungsform überhaupt gibt. In der kommunistischen Zeit schottete sich das Land und somit auch die Gesellschaft vom Rest der Welt (auch der sozialistischen) ab. Erst nach dem Umbruch der frühen 1990er Jahre ist eine Öffnung gegenüber Europa und den anderen Staaten der Welt gegenüber festzustellen. Deshalb sei bereits an dieser Stelle Interessierten ein Besuch Albaniens empfohlen: Die Kriminalität ist nicht höher als anderswo, das Land ist organisiert aber längst auch individuell gut zu erkunden. Die Benzinpreise lagen während unseres Aufenthalts immer unter einem Euro pro Liter. 

 

Angesichts des massiven Aufholbedarfs sind die Fortschritte zwar noch mäßig, in manchen Gegenden aber schon deutlich spürbar. Wer sich auf das Land einlässt, wird eine schlummernde Schönheit mit offenherzigen und hilfsbereiten Menschen finden. Albanien zählt nicht zu den klassischen Reiseländern. Dies hat zur Folge, dass es viel unberührte und unerschlossene Natur zu entdecken gibt.

 

Am nächsten Morgen starten wir unsere Rundreise.

Die Straßen sind, bis auf wenige Ausnahme abgesehen, zwar durchgängig asphaltiert, aber vielfach erneuerungsbedürftig. Das zwingt zu niedrigen Geschwindigkeiten. Und die Tagesetappen sollten nicht länger als 200 Kilometer geplant werden. Aber dafür ist das Land ja auch klein.

Alte Mercedes-E-Klassen aus Deutschland sehen wir zuhauf, sie verdienen sich hier ihr Gnadenbrot. Wir lernen, dass für jüngere Männer nur Mercedes in Frage kommt. Woher sie das Geld für diese – wenn auch älteren – Fahrzeuge haben, bleibt ungewiss. Klar ist, dass viel „geschraubt“ wird in Hinterhöfen, bis man eben sein Wunschfahrzeug fahrbereit hat.

 

Bevor wir uns nach Süden aufmachen, ein kurzer Trip Richtung Nord, in die Kleinstadt Kruse, an einem Bergmassiv gelegen. Hoch auf dem Felsen befindet sich die Burg, die als „Nationalheiligtum“ gilt. Hierher pilgern zahlreiche Albaner, um ihren Nationalhelden Skanderbeg zu verehren. Wir erinnern uns an den nach ihm benannten Platz in Tirana. 

Albanien: Wir fahren übers Land, manchmal fehlen Brücken. Dann nutzen wir Seilfähren, die uns über die Flüsse bringen. I

Wir fahren übers Land, manchmal fehlen Brücken. Dann nutzen wir Seilfähren, die uns über die Flüsse bringen. Immer gut beschildert sind die Sehenswürdigkeiten von Albanien, wie hier in Tirana, aber auch in kleineren Orten.

Wegweiser in Albanien

Am Nachmittag fahren zunächst entlang der Adria-Küste nach Süden. Hier gibt es viele Bademöglichkeiten, mal „wilde“ Stellen oder auch angelegt als Frei- oder Strandbad. Hier wurde in Infrastruktur investiert, und mehr und mehr Sommerurlauber honorieren das auch. Überall ist das Wasser kristallklar und auch jetzt schon – Ende Mai – über 20 Grad warm. Nach einem schönen Bad biegen wir ins Landesinnere nach Berat ab, die „Stadt der tausend Fenster“. Sie zählt wegen ihrer Einzigartigkeit zum UNESCO-Weltkulturerbe und ist eine der ältesten Städte des Landes.  Die schiefergedeckten osmanischen Wohnhäuser erinnern an türkisch-albanische Stadtkultur.

 

Spontan werden wir in einen Hof eingeladen. Klar, kurzer Skepsis-Moment, aber dann gehen wir neugierig hinein. Was wir sehen, ist typisch für Albanien. Abseits der Straße wird auf dem Innenhof ein Geburtstag "ganz groß" gefeiert. Ca. 40 Menschen aller Generationen sitzen an mehreren Tischen, ein Spanferkel dreht sich am Spieß, Bier, Wein, Kaffee und Kuchen stehen auf den Tischen. Bei solcher Gastfreundschaft haben wir Mühe, nach einer guten Stunde wieder weg- und weiter zu kommen.

schöne Ausblicke aufs Meer, viele Serpentinen-Straßen und immer ein Kloster oder eine Kirche in der Nähe.
Albanien. Ausblicke aufs Meer

Es gibt einige Konstanten, wenn man in Albanien außerhalb Tiranas unterwegs ist: Häufige schöne Ausblicke aufs Meer, viele Serpentinen-Straßen und immer ein Kloster oder eine Kirche in der Nähe.

Weiter geht es nach Apollonia, später passieren wir den über 1.000 m hohen Llogara-Gebirgspass nahe der Küste. Unterwegs gibt es immer wieder herrliche Ausblicke auf malerische Buchten und Strände mit dem türkisfarbenem Wasser der Adria.

 

Südlich der Passes ist das Klima jetzt wesentlich wärmer. Nahe Sarande ganz in der Nähe der Grenze zu Griechenland liegt Butrint, eine der bedeutendsten archäologischen Stätten des Mittelmeerraumes. Sie zählt zum UNESCO-Weltkulturerbe und war in ihrer Blütezeit römische Kolonie. Wir sehen das römische Theater, die Thermen, die Agora, das Forum und das Gymnasium. Aus byzantinischer Zeit lernen wir die große Basilika, das Löwentor und die Stadtmauer kennen. Butrint liegt malerisch zwischen einer Lagune und dem Meer, vor der Küste die griechische Insel Korfu.

 

Morgens fahren wir ins Drinos-Tal, das seit der Steinzeit besiedelt ist. In Gjirokaster besuchen wir die historische Altstadt, die wegen ihrer steinernen und mit Steinplatten gedeckten Wehrturmhäuser ebenfalls als – der Leser ahnt es – Welterbe von der UNESCO geschützt ist.

 

Am nächsten Tag geht es immer tiefer in die Bergwelt hinein. Straßen werden zu Schotterpisten, manchmal nicht einmal das. Dann werden es Sandwege. Wir sehen auf farbenfrohe Berge und Täler mit kristallklaren Flüssen. Unser Ziel ist das „Blaue Auge“, eines der berühmtesten Sehenswürdigkeiten des Landes.

Das Blaue Auge ist ein Bergsee am Westhang des Gebirges Mali i Gjerë. Den Namen erhielt der Bergsee Syri i Kaltër durch die Farbe seines Wassers. 

Das Blaue Auge ist eine der Hauptattraktionen Albaniens

Das Blaue Auge ist eine der Hauptattraktionen Albaniens

Auf der Stadtbesichtigung in Korce besuchen wir die gewaltige, neue Basilika, eine alte Schule und die malerischen Alleen. Abends kommen wir dann in Pogradeci am Südufer des Ohridsee an. Das ist jetzt fast ein mondäner Kurort, man merkt, dass hier mehr Umsatz getätigt wird als vielerorts sonst im Land. Mondäne Hotels wechseln sich mit schicken Cafés ab, Boutiquen mit noblen Auslagen werben um Kunden. Durch die Straßen cruisen Fahrzeuge neueren Fabrikats.

Der Ohridsee bildet die Grenze zwischen Nordmazedonien und Albanien, ist wegen seiner landschaftlichen Schönheit ebenfalls als Weltnaturerbe von der UNESCO geschützt.

 

Wir nehmen ein Hotel und überqueren am nächsten Morgen die nahe Grenze nach Nordmazedonien. Das geht sehr rasch, die Grenzer gucken kaum auf, als wir unsere deutschen Pässe aus dem Fenster zeigen. Unser Ziel ist das berühmte Kloster Sankt Naum, das am Ufer des Ohridsees liegt und von der UNESCO – Sie ahnen es – als Weltkulturerbe geschützt ist. Dann fahren wir weiter in die Stadt Ohrid, die dem See ihren Namen gab. Sie besitzt eine wirklich malerische Altstadt, dazu zahlreiche Kirchen und Klöster. Auch diese Stadt steht als Kulturerbe unter den Schutze der UNESCO.

 

Nach einer Woche geht’s zurück zum Airport nach Tirana. Unsere Eindrücke sind sehr zahlreich in dieser kurzen Zeit. Dabei haben wir nur den Süden des kleinen Landes bereist! Albanien grenzt im Norden an Montenegro, im Nordosten an Kosovo, im Osten an Nord-Mazedonien und im Süden an Griechenland. Das macht auch eine Kombinationsreise gut möglich. Amtssprache ist albanisch, aber Ältere sprechen vielfach italienisch, Jüngere englisch. Mit diesen Sprachen kommt man bei individuellen Reisen gut zurecht.

 

Dass Ältere ein wenig italienisch sprechen, hat wieder mit der Zeit des eisernen Vorhangs zu tun. Damals sah man italienisches Fernsehen als Tor zur Welt. Im Süden Albaniens ist übrigens griechisch noch hilfreich. Unterkünfte sind kein Problem, es gibt sie inzwischen in vielen Preislagen. Das Essen ist sehr fleischlastig, aber auch Vegetarier verhungern nicht. Getrunken wird natürlich eigener Wein und Raki, der Anisschnaps.

 

Ein Besuch Albaniens sei jedem Globetrotter ans Herz gelegt, besonders aber archäologisch Interessierten. Die Zahl der – noch aktiven – Ausgrabungsstätten ist riesig. Vielfach haben wir Studenten aus aller Welt angetroffen, die hier gemeinsam mit ihren albanischen Kollegen nach weiteren Schätzen der Vergangenheit graben. 

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Überall in Albanien, vor allem in kleinen Dörfern, freute man sich über uns als Besucher, noch dazu wenn die Einheimischen hörten, wir kommen aus Deutschland. Deutschland hat einen guten Ruf in Albanien, und das liegt nicht nur an der E-Klasse ….

Mehrfach wurden wir in Häuser und Klöster gebeten, teils sogar spontan bewirtet. 

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DIe Albaner sind froh über das Interesse an ihrem Land. Sie freuen sich über die Öffnung ihrer Heimat nach 1990. Gerade weil sie wissen, dass auch 30 Jahre nach der Wende wirtschaftlich noch viel aufzuholen ist. (Mai 2018)

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