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Wer anhält, hat verloren

Flussfahrt auf dem Mekong von Vietnam nach Kambodscha offenbart karges, aber unbeschwertes Leben der Anwohner

Ochsenkarren am Mekong

Am Mekong ist der Ochsenkarren häufiges Transportmittel

Von Fred Hafner

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Saigon. Wer anhält, hat verloren. Deshalb darf man nie den Fuß auf den Boden setzen. Das haben vier Millionen Motorrollerfahrer in Saigon verinnerlicht. Die Metropole in Südvietnam, offiziell Ho-Chi-Minh-Stadt, wird von ihren sieben Millionen Einwohnern beharrlich bei ihrem alten französischen Namen genannt. Heute Vormittag scheinen sie alle unterwegs zu sein: bis zu fünf Personen auf dem Moped, wobei die Kinder dann in der Mitte der Sitzbank stehen. Oder Fahrer mit zwei Meter langen Brettern, Baumaterialien, Schweinen, Kühlschränken, ganzen Wagenladungen voller Korbwaren, Textilien oder Südfrüchten auf dem Moped. Die Massen strömen mit ihren Vehikels aus allen Richtungen auf den Kreisverkehr am Boulevard Dong Khoi zu. Dichte Formationen, bis zu acht nebeneinander in einer Spur. Es gibt vier Spuren je Richtung. Und viele Kreisverkehre in Saigon. Niemand verringert die Geschwindigkeit. Gleich müssen sie sich verhakeln, Metall wird aneinander knirschen und Funken schlagen, Felgen und Motorblöcke werden bersten, ein Trümmerfeld aus Blech, Glas und Blut entstehen.

 

Doch nichts von alledem passiert. Flundern im Aquarium gleich, schlängeln sich die Fahrer gekonnt aneinander vorbei – und stoben in alle Richtung wieder aus dem Kreisverkehr. Aber einige müssen doch anhalten. Sie haben das Spiel verloren und stehen auch sonst in Saigons Verkehr auf verlorenem Posten: die Autofahrer. Wer hinter einer Windschutzscheibe sitzt, wird regelrecht eingekreist von den Mofas. Da dauert die sieben Kilometer lange Fahrt vom Flughafen in die City 45 Taxi-, aber nur 15 Mopedrikscha-Minuten.

 

Saigon ist der quirlige Ausgangspunkt eines Abenteuers, das bisher nur wenig Touristen erleben können und den krassen Gegensatz zur brodelnden Metropole liefert: Eine achttägige Flussreise durch das Mekongdelta bis nach Kambodscha. Weil es auf dem Weg in die Hauptstadt Phnom Penh an touristischer Infrastruktur mangelt, haben findige britische Geschäftsleute in Myanmar, früher Burma, Kolonialdampfer nach historischem Vorbild neu aufgebaut. Vier davon gibt es inzwischen, und die Nachfrage steigt. Deshalb sollen zwei weitere gebaut werden.

Mekong Pandaw Flusskreuzfahrtschiff an der Grenze Vietnam/Kambodscha

Die Mekong Pandaw wartet an der vietnamesisch-kambodschanischen Flussgrenze auf den Zoll

Unsere „Mekong Pandaw“ ist sechzig Meter lang, elf Meter breit, aber 1,50 Meter tief. Dazu später. Das 2003 gebaute Schiff besitzt drei Decks, aber keinen Swimmingpool. Dafür Bar, Restaurant, Sonnenplätze und gemütliche Kabinen mit Vollkomfort. Mit eisgekühlten Tüchern erwartet uns die burmesisch-kambodschanisch-vietnamesische Besatzung in My Tho, 120 Kilometer südlich Saigons bei 34 Grad Mittagshitze. Hier, kurz vor der Mündung, ist der Mekong eine ziemlich trübe Brühe Und wir erleben auf der Fahrt nach Norden, warum das so ist.

Der Mekong ist einer der längsten Flüsse weltweit. Von China über Burma, Thailand und Laos fließt er über 4.909 Kilometer nach Kambodscha und mündet in Vietnam schließlich in das südchinesische Meer. Hier, am Unterlauf des Mekong, leben allein fünf Millionen Menschen am und mit dem Fluß. Strom, Frischwasser und Kanalisation gibt es nicht, dafür gibt es den Mekong: Er dient zum Waschen, Baden, Fischen, als Handelsplatz mit schwimmenden Märkten, als Klärgrube und Transportader.

Dorfmarkt am Mekong, Dutzende Reissorten
Kinder baden im trüben Mekong

Auf den Dorfmärkten werden Dutzende Sorten Reis angeboten. Kinder baden derweil im trüben Mekong

Die gelbbraune Färbung des Mekong rührt aber auch von Schwebstoffen. Denn das Deltagebiet ist Schwemmland. Die Schwebstoffe lagern sich bei dem flachen Wasserstand ab und machen das gesamte Deltagebiet sehr fruchtbar. Es ist mit einem unübersehbaren Netz von Kanälen und Seitenflüssen durchzogen und bildet die Reiskammer Vietnams. Der Mekong ist am Unterlauf fünf Kilometer breit.

Weil der Strom außer Ebbe und Flut auch Hoch- und Niedrigwassermonate mit bis zu 15 Metern Unterschied kennt, sind die Behausungen an seinem Ufer auf Stelzen gebaut. „Wenn das Wasser steigt, fassen vier Mann vier Stelzen an und tragen das Haus eben ein Stück die Böschung hinauf oder auf ebener Fläche etwas weiter landeinwärts“ erklärt unser Dolmetscher das Prinzip. Es funktioniert, weil die Häuser leicht sind: aus Stein sowieso nicht, oft nicht einmal aus Holz. Bambusgeflecht dient als Baumaterial.

Bootsmarkt auf dem Mekong
Freundliche Kambodschaner am Mekong

Verkauft wird von "schwimmenden Märkten", also vom Boot. "Langnasen" gegenüber sind die Kambodschaner äußerst freundlich

Die Armut ist augenscheinlich, scheint die Bewohner am Fluss dennoch nicht zu tangieren. Sie sind untereinander und gegenüber „Langnasen“ äußerst freundlich. Alles kostet für uns Europäer einen Dollar, egal ob Seidentücher, Postkarten oder Coladosen. Eine Tageseinnahme für die Bewohner, die durchschnittlich 265 Dollar im Jahr zur Verfügung haben. Untereinander tauschen sie gleich in Naturalien, oder eben in Landeswährung. Auf den schwimmenden Märkten wird die Ware am Mast aufgehängt, so dass von weitem zu sehen ist, was verkauft wird: Ananas, Kartoffeln, Reis, Textilien, natürlich Fisch in allen Größen und Arten. Aus dem Mekong wird jährlich viermal soviel Fisch geholt wie aus der Nordsee! Es gibt mehr als 1.300 Arten, darunter der Mekong-Riesenwels. Mit fast drei Metern ist er der größte Süßwasserfisch der Erde.

Unser Schiff fährt nur am Tage. Nachts wird geankert. Aus zwei Gründen: Der Mekong ist nur mit Lotsen zu befahren, weil er streckenweise extrem flach ist. Unsere Mannschaft hat bei 1,50 Meter Tiefgang der „Mekong Pandaw“ jedenfalls gehörigen Respekt vor Grundberührungen. Und: Der Verkehr auf dem breiten Fluss ist so rege, wie zu Ferienbeginn am Dreieck Potsdam. Eine Weiterfahrt in der Dunkelheit bedeutete eine erhebliche Kollisionsgefahr.

Ochsenkarren am Mekong

Ochsenkarren sind das Verkehrsmittel der Wahl in den Dörfern am Mekong. Aber inzwischen sieht man auch immer mehr alte Transporter aus japanischer Produktion 

Kinder in der Schule im Klassenraum am Mekong

Bildung ist wichtig auf dem Land am Mekong: Es besteht Schulpflicht, Jungen und Mädchen mehrerer Jahrgänge lernen gemeinsam

Je weiter wir ins Landesinnere fahren, desto ursprünglicher wird das Leben. Straßen gibt es nicht, aber die Uferwege sind befestigt. Als Transportmittel dienen Ochsenkarren – und Mopeds. Die Bewohner im Mekongdelta kennen weder Arzt noch Hospital. Wer krank wird, wird zum nächsten buddistischen Tempel gebracht. Ein Mönch versucht dort, ihn dreimal täglich zu besprechen. Wenn´s nicht hilft, wird gestorben, auch an einfachen Erkrankungen. So liegt das Durchschnittsalter in Vietnam bei 28, in Kambodscha bei 17 Jahren! Hier fehlt wegen des Genozids des Pol-Pot-Regimes die ältere Generation völlig, die mittlere ist stark dezimiert. Am Ufer dominieren die 20- bis 30-Jährigen und natürlich die Kinder. Für sie wird viel getan: Alle erhalten Englischunterricht, die Schulen – alle 25 Kilometer entlang dem Ufer – bestehen auf Steingebäuden mit Spiel- und Sportanlagen. Die Kinder legen auf Fahrrädern täglich Entfernungen bis 40 Kilometer für Hin- und Rückfahrt zurück, oft mit Geschwistern auf dem Gepäckständer.

Kinder baden direkt neben dem Schiff im Mekong
Die Brücke der Kreuzfahrtschiffs

Bei den vielen Anlegemanövern täglich (etwa alle zwei Stunden an einem anderen Dorf) muss unser Kapitän höchst aufmerksam sein. Direkt an den Anlegestellen baden Kinder und Jugendliche übermütig und fröhlich.

Nach fünf Tagen erreicht die „Mekong Pandaw“ Pnomh Penh. Kambodschas Hauptstadt ist weniger geschäftig als Saigon, besitzt aber mehr Prunkbauten. Der Königspalast mit Thronhalle und Silberpagode glänzt im Gold und Geschmeide, die Vegetation ist üppig. Die Masse der 1,5 Millionen Einwohner ist beschäftigt, ihren täglichen Lebensunterhalt zu verdienen: als Rikschafahrer, Verkäufer, Schlepper oder eben auch Bettler. Dennoch: Die Stadt erscheint für den Beobachter heiter, das Pol-Pot-Regime scheint vergessen. Die Schreckensherrschaft der Roten Khmer von 1975 bis 1979 kostete zwei von acht Millionen Einwohnern Kambodschas des Leben. Die „killing fields“ am Stadtrand, auf denen die Opfer mit Plastetüten erstickt, an Bäumen erschlagen oder per Machete geköpft wurden (man wollte die Patronen sparen) sind heute ein Mahnmal.

Mekong kurz vor Phnom Pen.

Der Mekong kurz vor Phnom Pen. Fast jedes Dorf hat ein sehr farbenprächtiges Gebetshaus  

Farbenprächtiges Gebetshaus am Mekong
Tempelanlage Angkor Wat
Ein Areal von 20 mal 30 Kilometern

Angkor Wat, die größte Tempelanlage der Welt, umfasst ein Areal von 20 mal 30 Kilometern 

In Pnomh Penh fließen Mekong und Tonle-Fluß zusammen, der sich nach einer weiteren Tagesreise zu einem 150 Kilometer langen Binnensee verbreitert. Wir müssen aufs Schnellboot, russische Produktion, umsteigen, weil der Tonle-See mit 80 Zentimeter Wassertiefe von unserer Mekong Pandaw nicht befahren werden kann. Der Abschied von unserer multiasiatischen Besatzung ist herzlich. Das Schnellboot bringt uns in drei Stunden nach Siam Rap, der Stadt bei Angkor Wat. Sie wird als größte Tempelanlage der Welt bezeichnet, umfasst ein Areal von 20 mal 30 Kilometern. Aber das ist eine andere Geschichte. Februar 2006. 

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