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Straßen der Superlative

Norwegen einmalig: 3.000 Kilometer von Kristiansand nach Kristiansund und vor allem abseits der großen Europastraßen unterwegs

Spektakuläre Bergstraße Sognefjell in Norwegen

Eine Rundfahrt durch den Süden und Westen Norwegens kann schon mal 3.000 Kilometer umfassen. Die Landschaft ist unvergleichlich schön und wechselt ständig

 

Von Fred Hafner

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Bergen. Norwegen ist ein hervorragendes Reiseland. Es ähnelt in vielem der Schweiz: hohe Berge, Gletscher, Wasserfälle, zahlreiche Brücken, noch viel mehr Tunnel, phantastische Ausblicke, tiefe Schluchten und Täler – und ein hohes Preisniveau.

 

Aber auch Norwegen ist äußerst verschieden. Wer schon am Nordkap war, weiß, dass die letzten 500 Kilometer sehr eintönig werden können. Und dass das Nordkap inzwischen so touristisch durchindustrialisiert wurde, dass man kein zweites Mal die lange Anreise in Kauf nehmen muss.

 

Wirklich schön ist der südliche Teil Norwegens. Auch da kommen, etwa bis in Höhe Alesund und Molde gern mal 3.000 Kilometer für eine Rundreise zusammen. Die ist jedoch so schön und facettenreich, dass fast jeder, der diese Tour einmal gemacht hat, sofort wieder losfahren würde...

 

Wir starten mit der Fähre vom dänischen Hirtshals nach Kristiansand. Die vier Stunden Überfahrt vergehen rasch. Ankunft mitten in der Nacht 0.30 Uhr. Aber zum Glück hatte das Hotel den Schlüssel hinterlegt. So etwas klappt auf Anhieb im unkomplizierten Norwegen. „Zahlen Sie gern am nächsten Morgen, das reicht völlig aus“, wurde uns noch per Mail zuvor mitgeteilt.

 

Kristiansand ist eine moderne Hafenstadt. Die fünfgrößte Stadt des Landes lädt zu einem Bummel durch die Altstadt mit ihren restaurierten Holzhäusern. Im Hafen lockt das Fiskebrygga-Viertel mit Fischmarkt und vielen Restaurants, in der Umgebung das Freilichtmuseum Vest-Agder-Fylke. Hier gibt es 40 historische Gebäude aus der Zeit von 1650 bis 1900 zu sehen. Sie zeigen in verschiedenen thematischen Bereichen, wie man damals im Süden Norwegens lebte und arbeitete.

Blick auf Stavanger

Stavanger hat

120.000 Einwohner, war 2008 Kulturhauptstadt Europas. 

Hafen, Ölmuseum, Altstadt, Domkirche, mehrere Museen (u.a. sogar eins für Konserven!)  – alles fußläufig gut erreichbar

Unser heutiges Ziel ist Stavanger. Aber da in Norwegen immer auch der Weg das Ziel ist, fahren wir nicht auf direktem Weg und meiden die Europastraße. Wir bummeln die Süd-Westküste entlang, die für ihre charakteristischen weißen Holzhäuser bekannt ist. Wunderschön! Wir passieren Mandal, einen der auch bei Einheimischen beliebtesten Sommerorte Norwegens. DIe Innenstadt hat 600 (!) weiße Holzhäuser, der 800 Meter lange Sandstrand, der Sjosanden, ist schnell erreicht. Kurzer Abstecher zum südlichsten Punkt des norwegischen Festlands: Der Leuchtturm von Lindesnes ist 2.516 km vom Nordkap entfernt.

 

Weiter gehts nach Lyngdal. Nirgendwo gibt es so viele Einwohner mit doppelter Staatsbürgerschaft wie hier. Sehr viele Handwerker sind von Lyngdal aus über Jahrzehnte zwischen Amerika und Norwegen gependelt. Böse Zungen behaupten, man erkenne sie nicht nur an ihren amerikanischen Vornamen, sondern auch an ihren Häusern. Denn sie würden norwegische Bauweise mit amerikanischer (Veranda, Säulen usw.) verunstalten …

 

Nächster besonderer Ort auf unserer Route ist Flekkefjord. Natürlich wieder weiße Häuser, diesmal sogar mit weißem Marmor. Aber hier heißt die Altstadt auch Holländerstadt, was wiederum ihre langjährigen Geschäftsbeziehungen charakterisiert. Flekkefjord gehört zu den traditionsreichen Hafenorten Südnorwegens.   

 

Wir wählen weiter die Küstenstraße statt der Europastraße nach Stavanger. Sie ist schmal, äußerst kurvenreich, geht auf und ab. Aber das wird mit imposanten Ausblicken auf die Küste und die an ihr liegenden Orte belohnt: Bei Helleren finden sich zwei bunte Holzhäuser unter einer imposanten Klippe am Jossingfjord. Alles liegt an der norwegischen „Landschaftsroute“ Jaeren, eine 41 km lange wunderschöne Strecke. 

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Stavanger erreichen wir nachmittags. Komisch, die Schranke im Parkhaus des Radisson Hotels steht sperrangelweit offen. Wir fahren ein, erfahren später, dass man auf geschlossene Schranken schon lange verzichte. Die Kennzeichen werden gescannt. Man kann einfach später oder auch sogar erst nach der Heimkehr bezahlen. Abermals sehr easy, dieses Norwegen!

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Stavanger ist eine der modernsten Städte des Landes. 120.000 Einwohner, 2008 Kulturhauptstadt Europas. Hafen, Ölmuseum, Altstadt, Domkirche, mehrere Museen (u.a. sogar eins für Konserven!)  – alles ist fußläufig gut erreichbar. Hunderte Segelboote und Yachten sorgen für ein mediterranes Bild. 

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Am nächsten Morgen wird’s richtig spannend. Wir fahren durch den Ryfast-Tunnel. Er ist mit 15 km Länge der längste Unterwasser-Straßentunnel der Welt. Noch beeindruckender: Die Anzeige am Armaturenbrett unseres Autos zeigt eine Höhe, besser Tiefe von minus 250 Metern an! Wir können es kaum glauben, aber es stimmt: So tief verläuft der Tunnel unter der Wasseroberfläche. Wir spüren die Tiefe durch die langen Ab- und Auffahrrampen kaum. Als wir wieder Tageslicht erblicken, wundern wir uns abermals. Sollte hier nicht Maut kassiert werden? Klar, wird auch. Aber wieder dezent: Kameras erfassen unser Nummernschild bei 80 km/h. Fürs Bezahlen muss hier niemand mehr anhalten. 

Flussfähre in Norwegen mit Autos
Rinder haben Vorfahrt auf der Straße

Fürs Bezahlen auf den Fähren muss in Norwegen niemand anhalten, für Schafe schon: Mehr als 200 Fjordfähren gibt es im Land, die Überfahrten verlaufen sehr zügig. Auf den Straßen dagegen kann es sich schon mal verzögern, aber die Fahrer (und die Schafe!) nehmens sehr gelassen.

Wasserfall in Norwegen bis an die Straße

Wasserfälle gibt es Tausende in Norwegen. Einige liegen so dicht an der Straße, dass man aufpassen muss, keine Dusche abzubekommen

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Blick auf den Oddafjord

Blick vom Hotelzimmer in Odda auf den Fjord: reinste Bilderbuchlandschaft

Wir fahren jetzt entlang der norwegischen Landschaftsstraße „Ryfylke“, passieren Dörfer, Städte, alte Industriebauten, verlassene Zinkgruben aus dem 19. Jahrhundert. Stopp am Wasserfall Svandalsfossen. Er liegt mit einer Fallhöhe von 180 Metern dicht an der Straße. Wer nicht aufpasst, wird hier mit einer kühlen Dusche überrascht. Am wunderschönen Soerfjord gehts weiter Richtung Odda und Kinvarsik. Die kurvenreiche Straße windet sich am Fjordufer entlang. Hier ist der Obstgarten Norwegens. 

 

Wir übernachten in Odda, mit fantastischem Ausblick auf den Fjord. Odda gilt als heimliche Hauptstadt vom Hardanger-Gebiet. Es ist eingerahmt von zwei Nationalparks. Ende des 19. Jahrhunderts war Odda beliebte Sommerfrische für Adelige und reiche Bürger Europas. Auch Kaiser Wilhelm der II. kam mehr als 20 Jahre lang nach Odda. Die Hardangervidda umfasst ein Gebiet von 9.000 Quadratkilometern, wovon 3.400 den größten Nationalpark Norwegens bilden. Weite Moorflächen und viele Seen prägen die Landschaft.

 

Weiter gehts Richtung Fossli, wo sich der spektakuläre Wasserfall Voeringfossen befindet. Er hat eine Fallhöhe von 182 Metern und ist damit der höchste Norwegens. Vom Parkplatz läuft man ca. eine Stunde hin und zurück. 

Über Aurland gehts weiter nach Laerdal. Wir schlängeln uns die schmale Bergstraße Snoevegen entlang. Sie wird auch Schneestraße genannt. Sie steigt auf 1.300 Meter Meereshöhe und führt zu einer schönen Hochebene. Der Stegastein ist ein beliebter Aussichtspunkt mit faszinierendem Panorama. Hier wurde die Stegasteinplattform gebaut, eine architektonisch einzigartige Aussichtsrampe über dem Fjord. Manchem wird da schwindelig. 

 

30 Kilometer östlich von Laerdal befindet sich die Stabkirche Borgund. Der älteste Teil der Kirche wurde 1130 errichtet. 1904 brannte sie leider ab, wurde aber in alter Form wieder errichtet. Das Inventar besteht aus Holzschnitzereien in altem Stil.

Bis hierher haben wir übrigens bereits vier Fährfahrten unternommen. Meist geht es über Fjorde, manchmal kleinere Seen - aber immer sehr zügig. Die Fähren sind Teil der Straßen Norwegens, es gibt mehr als 200! In keinem anderen Land der Welt haben Autofähren diese Bedeutung. Alles soll deshalb schnell gehen. Man fährt einfach rauf - und zügig wieder hinunter am anderen Ufer. Bezahlen? Wieder höchst einfach: Bei der Auffahrt wird die Autonummer gescannt, fertig.

Fjord in Nordwegen mit 180 Grad Kehre
Ungewöhnlicher Blick auf den Geirangerfjord

Phantastische Ausblicke (fast) hinter jeder Kurve. Wo schaut man zuerst hin? Zum Glück gibt's an den wichtigsten Stellen immer Parkplätze, um das Auto kurz abzustellen.

Spektakuläre Bergstraße Sognefjell in Norwegen
Sagenhafte norwegische Trolle

Bergstraße Sognefjell: Hier ist auf Teilabschnitten ganzjährig Winter mit Schnee und Eis.

Nun sind wir endgültige im Land der sagenumwobenen Trolle angekommen.

Wir übernachten in Sogndal. Am nächsten Morgen geht es Richtung Skjolden. Hier beginnt die Bergstraße Sognefjell. Sie geht auf 1.434 Meter Höhe. Der Ausblick ist wirklich überwältigend, auch wenn die Höhe gar nicht so groß erscheint. Wir kommen in die Jotunheimen-Region, Norwegens „Reich der Riesen“. Hier gibt es die höchsten Gipfel des Landes, etwa den 2.469 m hohen Galdhoepiggen. 

In Otta treffen wir auf die E6. Bisher waren wir fast nur auf regionalen und nationalen Straßen unterwegs. Die idyllischen alten Bauernhöfe des Ottatals wirken wie eine Kulisse für norwegische Volksmärchen. Über Domas gehts nach Andalsnes, unser heutiges Tagesziel. Die Berge werden wieder steiler. Elf Kilometer vor Andalsnes sehen wir das Romsdalhorn, mit 1.150 Metern ein Kletter-Klassiker in Norwegen. Auf gleicher Höhe links ragt die Bergwand Trollveggen empor. Sie ist  mit 1.800 Metern die höchste senkrechte Felswand Europas.

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Wir verlassen Andalsnes, fahren nach Kristiansand. Heute ist die berühmte Atlantikstraße unser Hauptziel. Sie wurde 1989 eröffnet und ist Straßenbaukunst erster Güte. Zuvor geht es durch den 2009 eröffneten Atlantahavstunnelen: Der einröhrige Straßentunnel zwischen Kristiansund und Averøy im Verlauf der Straße 64 ist 5.779 Meter lang. Auch hier liegt der tiefste Punkt wieder rund 250 Meter unter der Meeresoberfläche! Wir trauen der Cockpitanzeige wieder kaum, aber sie ist abermals richtig.

Spektakuläre Atlantikstraße
Spektakuläre Atlantikstraße
Autoanzeige: 235 Meter unter dem Meer

Die weltberühmte Atlantikstraße südlich von Kristiansund: Von der Halbinsel Moldehalvöya bis zur Insel Averöya ist sie exakt 8,174 km lang. Sie setzt sich aus acht Brücken zusammen, die sich über Inseln und Dämme schwingen (Fotos oben).

Im Atlantahavstunnelen zuvor geht es wieder einmal bis auf 250 Meter unter Meeresoberfläche 

(Anzeige -235 m)

Jetzt also die Atlantikstraße: Die Strecke zwischen der Halbinsel Moldehalvöya und der Insel Averöya ist exakt 8,174 km lang. Sie setzt sich aus acht Brücken zusammen, die sich über Inseln und Dämme schwingen. Auf dem Parkplatz Eldhusöya gibt es einen kurzen Rundweg von 15 Minuten. Von hier aus ist die einmalige Architektur der Straße gut zu erfassen. Das Aussteigen lohnt unbedingt, weil die famose Architektur der Straße allein hinter dem Steuer nur ansatzweise zu erfassen ist.

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Abends erreichen wir Molde, die „Stadt der Rosen“ genannt wird. Unser Hotel am Hafen bietet gute Aussicht. Gegen 0 Uhr werden wir plötzlich geweckt. Ein Schiff der Hurtigrouten legt „zum Greifen nahe“ direkt vor unserem Fenster an ….

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Am nächsten Morgen gehts zurück nach Andalsness und weiter über die berühmteste Serpentinenstraße Norwegens: „Trollstigveien“ oder einfach Trollstigen. 20 Jahre benötigte man für deren Bau, bevor König Hakan sie 1936 eröffnete. Hier oben, so die Legende, wohnen die Trolle. Die Ausblicke sind einmalig!

Trollstigveien, berühmtes Serpentinenstraße Norwegens

Die berühmteste Serpentinenstraße Norwegens: „Trollstigveien“ oder einfach Trollstigen. 20 Jahre benötigte man für deren Bau. Achtung Autofahrer: Hier quälen sich auch Busse hoch und benötigen in jeder Kehre die volle Straßenbreite!

Hinunter geht es über die „Oerneveien“ oder Adlerstraße mit schönen Ausblicken auf den Geirangerfjord. Er wird zu Recht als „Fjord der Fjorde“ tituliert, denn er ist der reizvollste Norwegens. Wann immer man ein Postrouten- oder Kreuzfahrtschiff Norwegens in Reisekatalogen sieht, ist es im Geirangerfjord fotografiert. Er bietet alles, was West- und Südnorwegen verbindet: senkrechte Berghänge, tosende Wasserfälle, dazu alte Bauernhöfe mit Grasdächern, auf denen Ziegen grasen. Der Geirangerfjord gehört seit 2005 zum UNESCO-Weltnaturerbe.

Wir übernachten in Hornidal. Auf dem Weg nach Bergen am nächsten Tag passieren wir abermals Wasserfälle, Serpentinen, Aussichtspunkte. Nach vielen Tunneln und einigen Fähren erreichen wir von Norden aus die bekannte Hafenstadt, Ausgangspunkt der Hurtigrouten-Schiffe.

Hafenansicht Bergen in Norwegen
Postschiff der Hurtigrouten startet in Bergen

Bergen ist weltberühmt. Die Speicherhäuser Bryggen gehören zum Weltkulturerbe der UNESCO (Foto oben)

In der ehemaligen Hanse-Stadt startet täglich ein Postschiff der Hurtigrouten zu seiner 7-tägigen Tour über die Lofoten hinauf nach Kirkenes

Bergen ist mit 250.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Norwegens und weltberühmt. Sie war ab dem 14. Jahrhundert Teil der deutschen Hanse. Die Speicherhäuser Bryggen gehören zum Weltkulturerbe der UNESCO. Mit der Standseilbahn fahren wir in sechs Minuten auf den Hausberg Flöyen und genießen die Aussichten auf Stadt, Hafen und vorgelagerte Inseln. 

 

Die letzten Etappen stehen jetzt bevor: Wir verlassen Bergen nach dem Frühstück und fahren Richtung Telemark, der Heimat des norwegischen Skisports. Tagesziel ist Fyresdal. Es geht entlang des wohl dramatischsten Abschnitts des Hardangerfjords. Wir passieren schmale Holzbrücken, einige Fähren. Später überrascht uns, wie selbst kleinste Ort mit jeweils nur 300 bis 400 Einwohnern durch teils zehn Kilometer lange Tunnel miteinander verbunden sind.

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Fyresdal ist ein ruhiger Ort, am Fyresee gelegen. Wie gemacht für uns, die Eindrücke der vergangenen elf Tage sacken zu lassen. Die Wirtsleute kamen vor 30 Jahren aus Holland hierher und hatten sich in die Gegend verliebt. Wir erzählen ihnen von Molde, Trollstigen und Atlantikstraße – für sie ist das eine komplett andere Welt. Auch das zeigt die Vielfalt Norwegens.

Spektakuläre Aussicht kurz vor Kristiansand

Kurz vor Kristiansand, unserem Fährhafen Richtung Hirtshals in Dänemark, gibt die norwegische Landschaft noch einmal alles!

Am Abreisetag haben wir nur zwei Stunden Fahrt bis Kristiansand. Am Hafen decken wir uns noch einmal mit Fisch ein, bevor wir nach exakt 2.983 Kilometern Rundreise in Norwegens Süden und Westen wieder auf die Fähre nach Hirtshals rollen. Die Entfernungen hier sind schon groß. Aber die Tour war unfassbar schön – etwa im Vergleich zur Nordkap-Strecke.

 

Und wie endete das nun mit der Maut? Zwei Monate nach der Reise kam die Rechnung an die Heimatanschrift. Für drei Parkhäuser, 12 Fährüberfahrten, einige wenige Mautstraßen, u.a. in Bergen, waren 236 Euro zu überweisen. Auch wenn Hotels und Essen teurer sind als im Rest Europas – diese Rechnung empfanden wir als sehr mäßig. (September 2021)

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