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Am Ende der Welt

Spitzbergen ist der nördlichste Vorposten der Zivilisation. Eine grandiose Welt von übermächtigen Gletschern, eisigen Fjorden und robusten Siedlern

Blick auf Longyearbyen in Spitzbergen

 

Von Fred Hafner

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Longyearbyen. Globetrotter, die es an die Enden der Erde zieht, kommen mit einem Besuch auf Spitzbergen (Svalbard) ihrem Ziel recht nahe. Danach folgt auf dieser Erde nur noch der unbewohnbare Nordpol. Spitzbergen ist damit der nördlichste Vorposten der Zivilisation – eine wilde, grandiose Welt von übermächtigen Gletschern, eisigen Fjorden, Eisbären und robusten Siedlern, die wissen, dass sie zu einer sehr exklusiven Spezies gehören.

 

Nur gerade mal 1.280 Kilometer südlich des Nordpols gelegen, ist die eigentliche Insel Spitzbergen die größte im arktischen Archipel Svalbard. Die Inseln in norwegischem Besitz sind – mit der russischen Bäreninsel zusammen – etwas kleiner als Bayern. Das wirtschaftliche Potenzial Svalbards darf nach einem Vertrag von 1920 von den beteiligten Staaten genutzt werden. Davon macht Russland Gebrauch. Inzwischen gibt es noch 500 Russen in Spitzbergen, genauer gesagt in Barentsburg, der sogenannten Bäreninsel. 

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Die Bäreninsel (Bjørnøya) ist die südlichste Insel des Svalbard-Archipels, zwischen Norwegen und Spitzbergen. Sie ist 178 Quadratkilometer klein, abgelegen und selten besucht. Das spornt uns an – und wir wollen mit einem kleinen Schiff hinüber fahren.

Allerdings: Wir müssen gutes Wetter abwarten. Der Mangel an geschützten Buchten sowie das meist windig-rauhe und neblige Klima machen Besuche der Bäreninsel zu einem Glücksspiel, ähnlich wie bei der Insel Jan Meyen, zwischen Spitzbergen und Island gelegen. Wir haben einem Kapitän unser Interesse bekundet, drei Stunden später ruft er plötzlich an. „Fertigmachen! Wir starten in den nächsten zehn Minuten.“ 

Wir laufen zum Schiff, die Fahrt dauert ca. eine Stunde. Schon von weitem sehen wir die Siedlung, die uns sehr an Russland erinnert. Der Anblick der russischen Grenzstadt mit Plattenbauten und Mehrfamilienhäusern im Moskauer Stil der 1950er Jahre ist eine Kuriosität eines Spitzbergen-Besuchs. Es gibt gleich weitere: In Barentsburg wird wirklich noch Kohle abgebaut. Und hier wird Bier gebraut – wir stehen also vor der nördlichsten Brauerei der Welt. 

Blick auf Barentsburg, Spitzbergen
Schule in Barentsburg
Russische Losungen in Barentsburg
Wohnhaus in Barentsburg

Anfahrt auf Barentsburg: Schon von weitem ist die Kohleförderung zu erkennen. Für die Kinder der vornehmlich jungen Beschäftigten gibt es eine Schule (Fotos oben). Die Wohnhäuser sind häufig russischer Plattenbaustil, plakatiert mit Parolen wie "Unser Ziel – Kommunismus" oder "Alles für die Planerfüllung" (Fotos unten)

An den Häuser lesen wir Parolen in kyrillischen Buchstaben: „Unser Ziel - Kommunismus“ oder „Alles für die Planerfüllung“. Die Arbeiter und Einwohner sind nicht direkt abweisend uns gegenüber, eher reserviert. Aber nach ein paar Brocken russisch werden die Gespräche schon aufgeschlossener. Viele gehen ein paar Jahre in diese menschenunwirtliche Gegend, weil es wirtschaftlich für sie höchst attraktiv ist. Die Gehälter betragen oft das Doppelte, teils Dreifache zu vergleichbaren Tätigkeiten im großen Heimatland. Deshalb trifft man hier viele 20-30jährige Menschen – 80 Prozent Männer, aber auch ein paar Frauen – die sich mit ihrem Ersparten später einen guten Start in Russland und ein gutes Auskommen sichern möchten.

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Nach drei Stunden Aufenthalt und auch dem Probieren eines Bieres (schmackhaft!) geht es zurück ins norwegische Spitzbergen. Im norwegischen Sprachgebrauch heißt die Inselgruppe seit dem Vertrag von Spitzbergen aus dem Jahr 1920 Svalbard (deutsch „Kühle Küste“). Im deutschen Sprachgebrauch ist dieser Name nicht verbreitet und die Inselgruppe wird gemeinhin Spitzbergen genannt. Spitzbergen ist zugleich die Hauptinsel des gesamten Archipels.

Spitzbergen wurde ab etwa 1900 und in erster Linie wegen der Ausbeutung seiner reichen Kohlevorkommen besiedelt. Heute gilt Spitzbergen als größtes Labor der Welt für die Erforschung der Arktis, Zu ihr gehört auch ein Startplatz für Forschungsraketen (Svalbard Rakettskyttefelt). Die Inselgruppe ist gemäß dem Vertrag von Spitzbergen eine demilitarisierte Zone.

nördlichste Bierbrauerei der Welt in Barentsburg, Angebotsliste
nördlichste Bierbrauerei der Welt, am Zapfhahn

Im russischen Barentsburg steht die nördlichste Brauerei der Welt. Das schmackhafte Bier gibt es in drei Sorgen ("blond, dark, amber"). Es hat nur 2,5 Prozent Alkohol

nördlichstes Hotel der Welt in Spitzbergen
nördlichste Post der Welt in Spitzbergen

Das nördlichste Hotel und die nördlichste Post der Welt

Alter Grubenzug von 1921 in Spitzbergen

Alter Grubenzug mit 1921 in Berlin gebauter Lok: In Spitzbergen hat er seine wohlverdiente Ruhe gefunden

kleines Boot vor Eisberg

Wenn das Wetter mitspielt, kann man mit kleinen Booten ganz nah an die prächtigen Eisberge heranfahren

Fjordaufwärts von der russischen Hauptsiedlung Barentsburg befindet sich die kleine Berwerkstadt Longyearbyen. Sie ist der bevölkerungsreichste Ort auf Spitzbergen. Die hier lebenden gut 2.000 Norweger sehen die harte Umwelt und das entbehrungsreiche Leben als Herausforderung. Die meisten von ihnen bleiben nur ein paar Jahre hier oben.

Im Gegensatz zu den Russen genießen die Norweger finanziell außer ein paar Steuervergünstigungen keine Vorteile. Trotzdem melden sich viele Bewerber, wenn Stellen ausgeschrieben sind. Im Sommer verkehren Versorgungsschiffe; außerdem gibt es ganzjährig mehrere wöchentliche Flüge nach Tromsö. 

Longyearbyen ist eine schmucklose Bergwerksstadt in einem öden Tal zwischen kahlen Bergen. Uns fasziniert sie trotzdem, wahrscheinlich, weil wir nur ein paar Tage zu Besuch sind. Die Stadt wurde 1906 vom amerikanischen Bergwerksingenieur und Unternehmer John Munrow Longyear gegründet. 1916 verkaufte er sie an eine norwegische Gesellschaft, die den Ort wertschätzend nach ihm benannte. 

Wegen des Dauerfrostes, der den Boden steinhart und eiskalt macht, verlaufen die Wasser- und Abwasserleitungen oderirdisch. Das verschönert nicht gerade das Panorama der Stadt, ist aber notwendig. Dazu wird das Stadtbild auch von den Förderbändern und Kabeln der Transportbahnen beeinträchtigt. 

Es gibt nur sehr wenige Straßen in Longyearbyen, sie sind sogar asphaltiert. Aber es gibt kaum Verkehr. Die meisten Fahrzeugbesitzer haben ein Schneemobil. Damit können sie in unzugängliches Gelände oder sogar ins Packeis gelangen. Auch Touristen können sie benutzen. Sie sollten aber einen einheimischen Führer dazu buchen. 

Und: Einer der wenigen Plätze, an denen es in dieser steinernen Welt Gras gibt, ist der Friedhof.

Blick auf  Spitzbergen
Wegweiser in Spitzbergen

Longyearbyen ist eine schmucklos angelegte Bergarbeiterstadt, die ihren Zweck erfüllt. Wegweiser zeigen, wie weit man hier von anderer Zivilisation entfernt lebt

Ny Alesund ist einer der nördlichsten Orte der Welt
Warnung vor Eisbären!

Ny-Alesund ist eine der nördlichsten Orte der Welt. In allen Gemeinden auf Spitzbergen kann man Motorschlitten mieten. Schilder weisen auf die Eisbärengefahr hin!

Wir schlafen im nördlichsten Hotel der Welt. Das Gästehaus ist modern und zweckmäßig eingerichtet. „Schnick-schnack“ findet man hier nicht, den sucht auch keiner. 

Am Abend schärft man uns noch eine, DIE wichtigste Regel ein: „Niemals eigenständig das Haus verlassen! Eisbärengefahr!" Die Raubtiere sind inzwischen an Menschen gewöhnt. Und so ist es auch schon vorgekommen, dass sich Einzelgänger von ihnen in menschliche Siedlungen hineinwagten. Die Einwohner sind für solche Fälle mit Waffen ausgerüstet. Gleichwohl versuchen sie alles, die Tiere nicht töten zu müssen. Aber wenn es um Gefahr fürs eigene Leben geht, bleibt mitunter keine Wahl. Wir nehmen die Warnungen jedenfalls sehr erst. Zuvor hatten wir schon gelernt: Wer sich am Tage außerhalb der Siedlung bewegt, muss immer eine Waffe dabei haben. Nachts sind die Vorschriften noch strenger. Da hat man einfach nicht vor die Tür zu gehen! 

 

5.000 Eisbären leben heute wieder auf Spitzbergen. Einst gab es viel mehr, so dass Großwildjäger hier auf Safari gingen. Seit 1973 ist die Jagd gänzlich verboten. Das hat sie vor dem Aussterben bewahrt.

Eisbären auf Spitzbergen sind die kleinste Gattung der Polarbären, sie werden nur ca. 300 Kilogramm schwer. Ihre Artgenossen auf dem Gebiet der Beringsee erreichen bis zu 800 Kilogramm! Im Sommer leben die Tiere von Beeren und Vogeleiern, ihre Hauptnahrung sind allerdings Robben. Mit ihrem flauschigen Fell und ihrem tapsigen Gang wirken die Vierbeiner niedlich – doch der Schein trügt. Es kommt immer wieder vor, dass die überraschend flinken und wendigen Eisbären Menschen angreifen und sogar töten. 

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Am nächsten Tag geht es nach Ny-Alesund. Das ist eine der nördlichsten Gemeinden der Welt. Je nach Jahreszeit leben hier zwischen 30 und 150 Menschen. Bis zur Stilllegung der Bergwerke im Jahr 1963 war der Abbau von Kohle, der von der Firma Kings Bay Kull Company AS betrieben wurde, die Lebensgrundlage der Gemeinde. Heute ist Ny-Alesund ein internationales Zentrum für Polarforschung und Umweltüberwachung. Die Kings Bay AS besitzt und betreibt die Infrastruktur. Wissenschaftler aus vielen Ländern kommen hierher. 

 

Das norwegische Polarinstitut (Norsk Polarinstitutt) wurde bereits 1968 eröffnet. Nach und nach haben Großbritannien, Deutschland, Japan, Niederlande, Italien, Frankreich, Süd-Korea, China und Indien ihre eigenen Forschungsstationen errichtet. 

 

Es gibt einen Lehrpfad von einem Kilometer Länge rund um die Stadt. Er besteht aus 25 Stationen, die über Flora, Fauna, Geschichte, Polarforschung und Geografie von Ny-Alesund berichten. 

 

Das Wort Luftverschmutzung ist für Spitzbergen ein Fremdwort, trotz Kohlenabbau in Barentsburg. Weil die Temperaturen frisch bis eiskalt sind, sagen die Bewohner, es sei zu kalt für Krankheitskeime. Der Rekord für Longyearbyen liegt bei -46,3 Grad Celsius. Der wärmste Julitag lag bei 21,3 Grad Celsius.

 

Die Winter sind lang und kalt, fast vier Monate gibt es kein Sonnenlicht. Verständlich, dass alljährlich Anfang März die Rückkehr der Sonne mit einem großen Fest gefeiert wird. 

Und dann ist da noch die Mitternachtssonne. Vier Monate im Jahr geht die Sonne gar nicht unter. Man kann um Mitternacht draußen Zeitung lesen, nur die Sonnenbrille nicht vergessen. Und natürlich immer auf die Eisbären achten! (Juni 2014)

Robbe im Schnee

Diese Robbe aalt sich in der Sonne. Sie muss auf Eisbären aufpassen.

Schatten und Sonne zaubern ständig andere Farben in die Polarwelt.

Eisloch in Spitzbergen
Verlassene Häuser in Spitzbergen
Bizarre Eisformationen

Verlassene Häuser sieht man häufig.

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