Einmal zum Nordpol und zurück
Schon beim Einchecken ist alles anders: Exakt 249 Passagiere sind extra aus aller Welt zum Flughafen Düsseldorf angereist. Koffer hat hier niemand dabei.
Braucht auch keiner! Denn wir werden alle abends in Düsseldorf zurück sein.
Was wir erleben, ist nur wenigen Menschen vergönnt: Spitzbergen, Nordpol, Grönland an einem Tag. Oder anders: 24 Zeitzonen in drei Minuten
Einmaliges Schauspiel: Direkt am Nordpol sinkt die Maschine auf 1.000 Höhenmeter ab
Von Fred Hafner
Düsseldorf. Schon beim Einchecken ist alles ein wenig anders: Exakt 249 Passagiere sind extra aus Deutschland, Österreich, Belgien, der Schweiz, Finnland, Ungarn, Norwegen Singapur, der Slowakei, Großbritannien und den USA zum Flughafen Düsseldorf angereist – viele bereits am Vorabend. Nun stehen sie in der neunten Stunde des 25. April am Abfluggate und sind auffallend gut gelaunt. Aufgekratzt kommentieren sie die vor ihnen liegenden zwölfeinhalb Stunden Flugzeit. Fotos werden gemacht, ein Brautpaar freundlich beäugt. Koffer hat niemand eingecheckt, alle haben nur kleines Handgepäck dabei. Vielen reicht eine Fototasche völlig aus. „Arktisrundflug/Polar Flight AB 1111“ steht am Counter.
Pünktlich 9.03 Uhr hebt Flugkapitän Wilhelm Heinz den Airbus A330-200 der airberlin in die Luft. Das Ziel ist einmalig: Einmal zum Nordpol und wieder zurück. Die Flugroute führt über Oslo, Trondheim, die norwegische Küste entlang nach Bodö, Narvik und Tromsö, weiter über die Bäreninsel nach Spitzbergen, dann mit direktem Kurs zum Nordpol. Der Rückflug ist über Ostgrönland, Island und Schottland zurück nach Düsseldorf geplant.
Die exakte Route konnte erst am Morgen des Flugtages festgelegt werden. Sie ist abhängig von der Bewölkung (soll natürlich vermieden werden, um allen Fluggästen gute Sicht zu garantieren) und von diversen Überfluggenehmigungen (neun Staaten sind beteiligt). Veranstalter AirEvents/Deutsche Polarflug und airberlin tun alles, um die Route auch noch während des Flugs weiter zu optimieren.
Auch so ist es ein Flug der Superlative. Im „warmen“ Mitteleuropa gestartet, gehören die Passagiere heute zu einer winzigen Gruppe von Menschen, die jemals in ihrem Leben am Nordpol waren. Was Entdecker und Polarforscher vor 100 Jahren noch monatelange Kraftanstrengung kostete (die sie noch dazu oft mit dem Leben bezahlten), ist jetzt als Tagesflug mit allem Komfort möglich. Schon am Abend des 25. April werden die Passagiere wieder im heimischen Bett schlafen.
Gespannte Blicke über Spitzbergen
Komfort und Informationen, aber auch Kulinarik werden während der zwölfeinhalb Stunden in der Luft groß geschrieben. Passend zum Flugziel servieren die Flugbegleiter Meeresfrüchte, Lachs und arktischen Kabeljau. Lektoren informieren über Landschaft- und Umweltschutz, Polarexpeditionen und Eisverschiebungen. Und weil die Veranstalter vorausschauend einige Fensterplätze frei hielten, sind auch für jeden Gast gute Sicht-, Foto- und Videomöglichkeiten garantiert.
Erster Höhepunkt ist nach etwa zwei Stunden ein Live-Interview mit Forschern der Bäreninsel, das direkt in die Kabine übertragen wird. Kurze Zeit später zieht unter uns Spitzbergen mit dem nördlichsten kommerziellen Passagierflughafen Longyearbyen vorbei. Wir fliegen weitere 90 Minuten, dann sinkt der Airbus auf nur noch rund 1.500 Meter Flughöhe. Noch 20 Minuten bis zum Nordpol. Da hier oben alles gleich aussieht (polares Packeis, Schneetreiben) zählt Heinz schließlich Punkt 14.33 Uhr den Countdown runter: „Sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins, Null – jetzt sind wir direkt über dem Nordpol!“ Beifall brandet im Flugzeug auf, Champagner wird gereicht, während Heinz den nächsten Höhepunkt ankündigt: „Wir durchfliegen jetzt alle 24 Zeitzonen der Erde in jeweils drei Minuten: einmal links herum, einmal recht herum – damit alle etwas sehen“. Russland hatte beiden Überflügen zuvor freundlich zugestimmt.
0 Grad: Der Nordpol ist exakt erreicht ....
Selbst die Flugzeuganzeige scheint verwirrt: „einmal links herum um die Welt …“
… dann rechts herum, jeweils in drei Minuten ...
… und alles in 1.234 Meter Flughöhe bei nur minus 14 Grad
Dann dreht die Maschine – natürlich nach Süden. Vom Nordpol aus geht es schließlich in alle Richtungen nur südlich. Der Airbus steigt wieder auf 10.000 Meter Reiseflughöhe. Wir nehmen Kurs direkt auf die Nordspitze von Grönland. Zwei Stunden wird es bis dahin dauern. Diese Zeit wird durch eine „himmlische“ Trauung eines Brautpaars furios überbrückt. Während sich Braut und Bräutigam verliebt in die Augen schauend das Ja-Wort geben, sind auch viele Passagiere gerührt. Gibt es wirklich noch Schöneres als einen Polarflug? Ja, heiraten während eines Polarflugs!
Wirklich unvergesslich: Heiraten an Bord eines Polarflugs
Kurz vor Grönland sinkt der Airbus wieder – jetzt auf 3.500 Meter Höhe. Die nächsten zwei Stunden sind Sightseeing pur: entlang Grönlands Ostküste vom Peary-Land bis zu den Stauningalpen, ein grönländisches Hochgebirge – etwa 2.000 Kilometer Strecke. Mächtige Bergmassive wechseln sich mit langen Eisströmen ab, die vom Inlandeis abfließen. Eisbedeckte Fjorde und kleinste Siedlungen sind aus dieser Flughöhe gut zu erkennen.
Der Rest ist schnell erzählt: über Island, Schottland, Niederlande nehmen wir Kurs auf Düsseldorf. Punkt 21.15 Uhr setzt der Airbus auf. Zwölf Stunden, zwölf Minuten Flugzeit und 9.700 Kilometer Flugstrecke liegen hinter uns. 73 Tonnen Kerosin wurden verbraucht (die Veranstalter bieten jedem Passagier eine freiwillige Klima-Kompensationszahlung in Höhe von 50 Euro an).
Beim Ausstieg in Düsseldorf blickt man in fast ausnahmslos glückliche Gesichter. Jeder hat jetzt ein Nordpol-Zertifikat und einen kleinen Plüsch-Eisbären in der Hand. Vor allem aber haben die Passagiere unwiderbringliche Eindrücke gewonnen und jede Menge Bild- und Filmmaterial im Kasten. Sie haben etwas erlebt, was nur sehr wenigen Menschen vergönnt ist: Spitzbergen, Nordpol, Grönland an einem Tag. (Mai 2015)