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Schön, schöner, spektakulär

Drei Länder, 476 Kilometer Strecke, 243 Brücken, 254 Tunnel –

die Zugstrecke von Belgrad nach Bar ist für viele "Europas schönste Bahnlinie".

Kein Wunder, dass selbst mehrstündige Verspätungen hier (fast) niemanden stören

Balkanstrecke Belgrad - Bar: eine der schönsten Europas

Die Strecke Belgrad – Bar ist eine der spektakulärsten Bahnlinien Europas 

 

Von Fred Hafner

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Belgrad/Podgorica. Eine der spektakulärsten Bahnlinien Europas führt von Belgrad nach Bar. Für die 476 km lange Strecke mit 243 Brücken und 254 Tunneln (insgesamt 114 km) sollten Reisende allerdings Zeit mitbringen. 

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Von Serbiens Hauptstadt in die montenegrinische Hafenstadt an der Adria braucht der Zug planmäßig elf Stunden. Es gibt täglich einen Tag- und einen Nachtzug, und das in jede Richtung. Wir waren allerdings auf der Hinfahrt 13 und auf der Rückfahrt sogar 14 Stunden unterwegs. Doch das ist nicht bedeutsam. Geschwindigkeitsrekorde möge man in Frankreich, Japan, Italien oder Deutschland aufstellen, hier ist der Weg das Ziel.

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Schon unsere (An-)Reise aus Berlin sollte „Bahn pur“ sein. Also zunächst mit dem EuroCity nach Budapest, weiter mit dem Nachtzug nach Belgrad. Letzterer war dann wegen der Grenzformalitäten und dem „Service im Zug“ schon etwas abenteuerlicher. Aber das ist eine andere Geschichte.

Bahnhof von Belgrad
Bahnsteige in Belgrad
Bahnsteige in Belgrad
Zuglaufschild Belgrad - Bar

Die vielleicht schönste Bahnreise Europas startet am Belgrader Bahnhof. Der ist eher unspektakulär. Es lohnt sich, erst hier die Tickets zu kaufen

Am Morgen stehen wir am Belgrader Bahnhof, kaufen erst hier unser Ticket nach Bar. Generell gibt es zwei wichtige Gründe für das Vor-Ort-Kaufen: Erstens ist es meist günstiger und zweitens ist man sicher, dass das Geld dort ankommt, wo es hin soll.

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Der Zug ist an diesem Freitagmorgen im September gut gebucht. Und wir dachten noch, die Saison ist doch vorüber. Die Reise kostet sehr günstige 21 Euro. Platzkartenkauf ist möglich, aber nicht zwingend. Wir entscheiden uns dagegen, wollen eh flexibel sein im Zug. Mit unserem kleinen Gepäck (nur leichter Rucksack!) ist das auch gut möglich.

 

Auf die Minute pünktlich verlassen wir Belgrad. In den ersten 20 Minuten geht es durch die typischen Plattenviertel und Trabantenstädte der serbischen Hauptstadt. Doch schon bald wird es sehr schön vor dem Abteilfenster. Die Strecke verläuft entlang unwegsamer Schluchten, die teilweise reißende Canyons werden. Straßen gibt es in diesen Abschnitten kaum. Wir fahren durch insgesamt drei Gebirgszüge des Dinarischen Gebirges. Schließlich quert der Zug nach vielen Stunden mit dem Mala-Rijeka-Viadukt (498 m lang, 198 m hoch) eine der höchsten Bahnbrücken Europas.

Ausblick aus dem Bahnfenster: Fluss, Gebirge, keine Straßen
Ausblick aus dem Bahnfenster: See, Gebirge, keine Straßen
Flusslauf entlang der Bahnstrecke Belgrad - Bar
Streckenarbeiter nutzen die Gleise, Straßen gibt es hier nicht

Von Kilometer zu Kilometer wird die Landschaft entlang der Strecke Richtung Montenegro schöner. Wander- bzw. Streckenarbeiter nutzen die Gleise gern als Abkürzung. Straßen gibt es hier kaum 

Die Strecke Belgrad – Bar war 1976 fertiggestellt worden. Sie wurde von den damaligen Jugoslawischen Staatsbahnen in 25 Jahren Bauzeit errichtet. Das Geld kam vom Staat. Die Linie ist durchgehend elektrifiziert. Sie hat ihren höchsten Punkt auf lediglich 1.032  Metern Höhe. Wegen der vielen Gebirgszüge und -ausläufer ist die Streckenführung trotz der vergleichsweise geringen Höhe dennoch äußerst aufwändig. Unter Bahnexperten gilt die Trassenführung als eine der schwierigsten Europas.

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Der Streckenbau gehörte in Europa zu den großen Eisenbahnprojekten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er galt als bedeutendster Eisenbahnbau nach dem Zweiten Weltkrieg und teuerstes Infrastrukturprojekt der damaligen „Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien“. Der Bau der Strecke war ein einzigartiger Kraftakt, der geografischen und geologischen Verhältnisse wegen. Die Zahl ist nicht gesichert, aber man geht davon aus, dass während des Baus 106 Menschen ihr Leben verloren haben. 

Speisewagen des Belgrad-Bar-Express
Tito-Zug mit Badewanne und Waschbecken im Abteil

Der berühmte "Blaue Zug": mit Speisewagen und Badewannen-Abteil. Titos Zug ist, so wie der große Staatsmann selbst, eine Legende im ehemaligen Jugoslawien. Tito nutze seinen Zug für Staatsbesuche und für den Empfang anderer Staatsoberhäupter. In den Jahren von 1947 bis 1980, während Tito an der Macht war, empfing er viele Größen der Welt im Blauen Zug, darunter: Arafat, Nehru, Nasser, Mitterand, Brandt, Breschnew und Gaddafi. Viele Staatsoberhäupter hatten sogar ihren eigenen Wagen, wie die britische Königin Elisabeth II.

Heute ist die Strecke Belgrad - Bar Serbiens kürzeste Verbindung zur Adria. Für Montenegro ist es sogar die einzige internationale Personenverkehrsverbindung auf der Schiene. Und: Über die abzweigende Bahnlinie Podgorica - Shkodra ist seit 1986 auch Albanien an das europäische Eisenbahnnetz angeschlossen.

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Die Strecke Belgrad - Bar wurde am 28. Mai 1976 mit einem Staatsakt eingeweiht: Der damalige jugoslawischen Staatschef Josip Broz Tito, seine Frau Jovanka sowie alle Ministerpräsidenten der jugoslawischen Republiken reisten mit dem „Blauer Zug“, dem offiziellen Regierungszug, die gesamte Strecke ab. Entlang der Strecke warteten Tausende von Menschen, um Tito zu begrüßen, schreiben Chronisten.

 

Damals war man übrigens nur sieben Stunden von Belgrad nach Bar unterwegs. Viele Langsamfahrstellen und inzwischen überholungsbedürftige Streckenabschnitte, Brücken und Tunnel verlangsamen die Fahrt heute auf planmäßig elf Stunden, in der Realität sind es wie erwähnt oft noch mehr. 

Streckenkarte von Belgrad nach Bar
Serbisches Grenzschild
Willkommensschild der Republik Montenegro

Wir verlassen Serbien und werden kurz darauf von Montenegro begrüßt

Der Großteil der Strecke verläuft durch Serbien und Montenegro, knapp zehn Kilometer fahren wir auch durch bosnisches Gebiet. Je weiter südlich bzw. Richtung Meer wir kommen, desto spektakulärer wird die Landschaft. Links und rechts der Abteilfenster gibt es ein Feuerwerk an Ausblicken: auf Canyons, schmale Brücken, Wasserfälle, urige Dörfer, kleine Klöster oder Kirchen. Die bunten Herbstwälder weichen Richtung Westen immer mehr dem schroffen Karst der Berge.

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Wir wagen es kaum, in den Speisewagen zu gehen, um ja nichts zu verpassen. Doch Hunger und Durst treiben uns dann doch. Der Service ist nicht überwältigend, aber ok. Es gibt Softdrinks und Bier, ein paar eingewickelte Sandwichs. Die sehen allerdings so aus, als ob sie nicht ihre erste Reise unternehmen. Warme Speisen? Fehlanzeige. Dafür steht in der Auslage allerdings der berühmte Slivovic gleich in mehreren Sorten.

Die Preise sind nicht günstig, aber für Westeuropäer bezahlbar. Allerdings scheinen wir die einzigen Ausländer heute im Zug zu sein, was sich auch daran zeigt, dass der Speisewagen komplett leer ist. Denn die Einheimischen bringen sich ihr Essen selbst mit. Das ist erstens leckerer und zweitens günstiger als im Speisewagen.

Stundenlang schlängelt sich der Zug durch einzigartige Landschaften
Bahnsteig in Podgorica mit vielen Menschen
Zug im Gebirge kurz vor Podgorica
kleiner Unterwegsbahnhof vor Podgorica

Viele Klöster und Kirchen gibt es entlang der Strecke, dann ist Podgorica erreicht. In der Hauptstadt Montenegros leben 150.000 Menschen. Viele nutzen gern den Zug, um schnell und günstig an die Adria zu kommen

Inzwischen haben wir die Grenze nach Montenegro passiert. Kontrollen gibt es kaum, nur ein paar Grenzer inspizieren eher gelangweilt die Wagenschlange. Einzig ein Willkommensschild und an der Strecke und die Schreibweise der Bahnhofsnamen machen uns auf den Länderwechsel aufmerksam.

Jetzt geht es hinunter Richtung Adria. Der Zug windet sich durch Schluchten und über viele Serpentinen. Die Luft riecht jetzt komplett anders: frischer, salziger. Es wird auch wärmer. Jetzt kommt uns zugute, dass zumindest einige Fenster im Zug zu öffnen sind.

 

In Podgorica ist viel Leben auf dem Bahnsteig. Alte, Junge, Familien mit Kindern drängen jetzt in den Zug. Viele haben großes Gepäck dabei. Kein Wunder, die montenegrinische Hauptstadt hat 150.000 Einwohner, und mit der Bahn ist man recht schnell und vor allem günstig am Meer. Noch gute zwei Stunden bis zum Endpunkt Bar.

Die Adria ist aus dem Zugfenster in Sicht
Endstation Bahnhof Bar, Empfangsgebäude
Bahnhof Bar, Bahnsteig
Bahnhof Bar, Trinkwasser aus dem Brunnen am Bahnsteig

Die Wasserarme werden breiter, die Luft riecht nach Meer und wird wärmer: Noch zwei Stunden bis zum Endpunkt. Der Bahnhof Bar ist dann sehr unspektakulär: kleines Bahnhofsgebäude, zwei schmale Bahnsteige. Aber es gibt Trinkwasser frisch aus dem Brunnen

Der Zielbahnhof ist dann relativ unspektakulär. Ein kleines Bahnhofsgebäude, zwei schmale Bahnsteige können die fast eintausend Menschen, die heute hier mit dem Zug am Abend ankommen, kaum fassen. Aber so schnell, wie sich Bahnsteige und Bahnhof füllen, sind sie auch schon wieder verwaist. Nach zehn Minuten herrscht Stille am Bahnhof Bar. Wo die Menschen alle Unterkunft finden, ist uns ein Rätsel. Klar, einige werden mit Privat-Pkw abgeholt, fahren in Nachbardörfer. Aber viele laufen einfach nur mit ihrem teils großen und schweren Gepäck in den Ort - wahrscheinlich zu Verwandten, Freunden oder Bekannten.

 

Für uns geht eine „Traumreise“ zu Ende. Man muss sich allerdings darauf einlassen, westeuropäische Standards darf man nicht erwarten. 

 

Wir gehen in ein kleines Hotel. Morgen müssen wir früh raus. Mit dem „Belgrad-Bar-Express“ zurück in die serbische Hauptstadt. Die Vorfreude darauf ist bereits wieder groß. (September 2015)

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