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Eisbergsafari mit Landgang

Mit dem Expeditionsschiff "Rembrandt van Rijn" auf ungewöhnlichem Segeltörn entlang der Küsten Grönlands

Eisberg in Grönland

 

Von Fred Hafner

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Kangerlussuaq. Zweimal am Tag kommt richtig Leben in den Mini-Flughafen von Kangerlussuaq: Er ist klein, dennoch der größte Airport in Grönland. Mittags landet der knallrote A 330 der Air Greenland von Kopenhagen, und nachmittags fliegt sie wieder zurück in die dänische Hauptstadt. Das ist der Luftkorridor Grönlands mit der Außenwelt: Wer immer nicht auf dem Seeweg nach Grönland reist, sitzt in diesem Flieger. Die jeweils rund 300 ankommenden oder abreisenden Besucher, Touristen, Einwohner und Geschäftsleute sind allerdings rasch wieder vom Airport verschwunden: Rund zehn einheimische Propellerflugzeuge starten in der nächsten Stunde von Kangerlussuaq aus in den grönländischen Himmel und verteilen die Gäste über das ganze Land. 

Airport Kangerlussuaq in Grönland
Inlandsflug in Grönland

Mini-Airport Kangerlussuaq, aber der größte Grönlands: Mit den knallroten Propellermaschinen der Air Greenland werden die ankommenden Fluggäste aus Kopenhagen über die gesamte Insel verteilt. Beim Weiterflug nach Aasiaat gibt es beeindruckende Aussichten

Segelschiff Rembrandt von Rhin
Wal in Sicht

Das Expeditionsschiff "Rembrandt van Rijn" ist für acht Tage unser Zuhause. Schon am ersten Abend wird das Essen in der Kombüse unterbrochen – Grund: "Wal in Sicht!" 

Grönland – Sehnsuchtstraum vieler Menschen. Die geografisch und geologisch zu Nordamerika gehörende größte Insel der Welt ist mit zwei Millionen Quadratkilometern doppelt so groß wie ihr Mutterland Dänemark. 83 Prozent der Fläche werden von einer bis zu 3.200 Meter hohen Inlandseiskappe bedeckt. Die von den Gravitationskräften gegen die Küsten gedrückten Eismassen zerbersten im Meer zu gigantischen Eisbergen. Ihre von ohrenbetäubendem Tosen begleitete „Geburt“ ist ein unvergessliches Schauspiel. 

 

Nur ein Küstengebiet von 350.000 Quadratkilometern (ungefähr die Fläche Deutschlands) ist nicht vom Eis bedeckt. Aber diese von unzähligen Fjorden und Inseln gegliederte Region ist nur schwer zugänglich. Die längste der wenigen geteerten Straßen ist 13 km lang und verbindet den internationalen Flughafen Kangerlussuaq mit dessen Hafen. Schiff, Hubschrauber und (kleine) Flugzeuge sind deshalb unentbehrlich, um von einem Ort zum anderen zu gelangen.

 

Unser Ziel ist Aasiaat im Nordwesten Grönlands. Als wir alle in der kleinen Propellermaschine sitzen, kommt der Pilot mit Aktentasche angeschlendert, setzt sich ins (offene) Cockpit, startet die Propeller, rattert über die holprige Startbahn und fliegt mit Schwung los. Die eine Flugstunde verbleiben wir in 4.000 bis 6.000 Metern Flughöhe, die Sicht ist einmalig. Eine rauhe, spröde, zerklüftete, menschenfeindliche Landschaft breitet sich unter uns aus: Bergspitzen, tiefe Täler,  Schnee und Eis, Gletscherspalten. 

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Die Grönländer nennen ihre Insel Kalaallit Nugat, „Land der Menschen“. Die sind hier allerdings dünn gesät, insgesamt leben in Grönland nicht mehr als 56.000 Seelen! Die Bevölkerungsdichte ist mit 0,03 Einwohnern pro Quadratkilometer eine der niedrigsten der Welt. Mehr als ein Viertel von ihnen wohnt in der Hauptstadt Nuuk an der Westküste. Die übrigen verteilen sich auf 17 „Städte“ und etwa 60 Dörfer längs der Küste.

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Ankunft Aasiaat: Am Flughafen wartet schon das Expeditionsteam des Segelschiffs „Rembrandt van Rijn“. Bevor wir an Bord gehen, bleibt etwas Zeit. Aasiaat ist die fünftgrößte Siedlung Grönlands, hat 3.100 Einwohner. Die Gründung des Ortes hängt eng mit dem Walfang zusammen. Wir entdecken eine offene, überdachte Halle, werfen neugierig einen Blick hinein, brauchen einen Moment, um das Gesehene zu realisieren: auf den Tischen liegen frisches Walfleisch und der sogenannte Blubber, die bis zu einem halben Meter dicke Fettschicht der Wale! Wir wissen natürlich, dass die indigene Bevölkerung der Arktis den quotierten Walfang zur Selbstversorgung betreiben darf. Doch der Anblick bereitet uns dennoch Mühe ….

 

Zeit für den Weg zum Schiff. Die Rembrandt van Rijn ist ein Dreimastschoner, 56 Meter lang, 7 Meter breit, Platz für 34 Expeditionsteilnehmer und 10 Crewmitglieder. Der Segler kann nach Umbau bequem mit Motorschiffen mithalten: schöne Inneneinrichtung, separate Leseecke, gemütliche Bar, geräumiger Gemeinschaftsraum. Dort werden nicht nur die Mahlzeiten gemeinsam eingenommen, hier gibt es für die nächsten sieben Tage auch Briefings vor den Anlandungen und Vorträge. Es gibt 17 Kabinen, außen oder innen, nicht groß. Aber was braucht man mehr als ein Bett, Kleiderschrank, Dusche und WC?

Eisberg in Grönland
Eisberge in Grönland
Eisberge mit Siedlung in Grönland
kleines  Boot vor Eisberg

Eisberge in beeindruckendsten Formen: wie ein Tier oder ein Turm geformt, oder auch mit einem Loch als Tunnel. Mit den Zoodiacs gehts ganz dicht ran.

Nach der obligatorischen Seenotrettungsübung heißt es: Leinen los. Bei strahlendem Sonnenschein laufen wir aus. Alle Arktisfreunde stehen an Deck und schauen auf die bunten Holzhäuser von Aasiaat. Als wir uns zum ersten Abendessen im Gemeinschaftsraum treffen, plötzlich der Ruf: „Wale voraus“. Das Essen muss warten, es fängt ja gut an. Alles stürmt aufs Vorderdeck und wirklich: Sie sind da! Zuerst taucht der Kopf der 18 Meter langen und 30 Tonnen schweren Kolosse des Meeres auf, dann wird die verbrauchte Atemluft geräuschvoll nach außen geschleudert und der massige Leib schraubt sich kurz empor. Das Wasser spritzt in hohem Bogen. Die Kameras klicken, allerdings haben viele ihre Teleobjektive noch in der Kabine liegen. Das wir so rasch auf Wale treffen werden, damit hatte niemand gerechnet.

 

Mit den Zoodiacs landen wir am nächsten Morgen in Illulisaat an. In der drittgrößten Siedlung Grönlands (4.500 Einwohner) herrscht bereits reges Treiben. Man lebt von Fisch- und Krabbenverarbeitung, ein wenig auch vom Tourismus. Die Gäste, die hierher kommen, wollen vor allem eines: Eisberge sehen! Und das kann man hier sehr gut. Eisberge gibt es zuhauf, in unendlichen Formen und, ja, auch Farben. Denn die Sonneneinstrahlung macht vom strahlenden Weiß über Blau bis hin zu Türkis alles möglich. Ständig entdecken wir neue Formen. Etwa ein Turm, eine Tiergestalt, sogar ein Eisberg mit Tunnel, also mit einem riesigen Loch in der Mitte, ist dabei.

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Wir setzen die Segel. Das macht, verglichen mit den Motorbooten, natürlich Arbeit. Die Gäste dürfen mit anpacken. Der Lohn ist gewaltig: Denn wenn wir danach völlig lautlos ohne Motor dahingleiten, immer etwas schräg gegen den Wind, kann das Gefühl nicht majestätischer sein. Wir allein in bildlich traumhafter Umgebung und sagenhafter Natur- und Tierwelt!

 

Am nächsten Tag besuchen wir eine Geisterstadt Qullissat. Der Ort ist seit 1972 verlassen. Hier wurde Kohle abgebaut, als es sich noch rentierte. Heute sind die Häuser unbewohnbar, Zeugnisse einer kargen, anderen Zeit. Ursache der heutigen Geisterstadt ist ein Gletscherabbruch, der eine gewaltige Tsunamiwelle erzeugte. Der Aufprall auf die  Siedlung war so heftig, dass einige Häuser komplett weggerissen, andere schwer beschädigt wurden. Bei einigen Häusern wurden „nur“ die Vorder- und Hinterwände herausgerissen, die Seiten und das Dach stehen noch. Man könnte quasi hindurchgehen, was natürlich aus Sicherheitsgründen streng verboten ist. Die Ruinen wirken gespenstisch. Zum Glück war zum Zeitpunkt der Katastrophe niemand im Ort, weil der Kohleabbau längst beendet war. 

Bunte Siedlung in Grönland
Riesige Eisberge hinter einem Dorf Grönland
Siedlung mit Schlittenhunden
Schlittenhunde

Die Häuser bunt, die Kulisse vor den riesigen Eisbergen einmalig (Fotos links). Interessant für beide Seiten: Wir Expeditionsteilnehmer streifen durch das Dorf und beobachten die (angeleinten) Schlittenhunde. Die gucken nicht minder erstaunt zurück (Fotos rechts)

Wir besuchen weitere Ortschaften, bewohnte. Die Szenerie ist immer wieder faszinierend: Die Häuser bunt, mit leuchtenden, intensiven roten, blauen, gelben, grünen Farben. Alle aus Holz. Sie wirken wie Inseln des Friedens. Doch der Schein trügt. In den vergangenen Jahrzehnten wurde der dänische Einfluss hier stärker. Gottesdienst, Kaffee und Bier wurden zu Eckpfeilern der modernen Gesellschaft Grönlands. Elektrizität, Telefon und TV sind bis in die letzten Winkel vorgedrungen.

 

Doch eins bleibt: die Schlittenhunde. 30-50 köpfige Meuten kauern vor den Häusern, sie gehören zur Familie, sind untrennbar mit den Menschen verbunden. Ihr Geheul hört man Tag und Nacht. Die Schlittenhunde leider im grönländischen Sommer unter zu wenig Bewegung und Beschäftigung. Und am wenigen Futter. Im Sommer bekommen sie nur einmal in der Woche zu fressen. "Wer nicht arbeitet, braucht nur wenig zu fressen", kommentieren es die Grönländer. Entsprechend wild bellen sie beim Anblick jedes Menschen. Klar, die Hunde sind angekettet. Aber niemand weiß, wie lang die Ketten sind. Also halten alle gebührlichen Abstand.  

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Wir freuen uns auf unser Schiff. Der Koch hat wieder Grandioses gezaubert. Restaurants sind in Grönland dünn gesät. Fleisch nimmt im Speiseplan eine Vorzugsstellung ein. Gemüse gibt es, verständlicherweise, eher selten. Und es ist sehr teuer. Das Nationalgericht Suaassat zum Beispiel besteht aus gekochtem Robbenfleisch, das mit Reis und Zwiebeln serviert wird. Es schmeckt hervorragend. Traditionell essen die Grönländer gern Walfisch, der an Rindfleisch erinnert und auf vielfältige Art und Weise zubereitet wird.

Eine ist "mattak" - Walfischhaut. Sie wird so zugeschnitten, dass eine Speckschicht haften bleibt. Anschließend teilt man sie in 5 cm große Vierecke mit kreuzförmigen Einschnitten. Walfischsteaks werden von Zwiebeln und Kartoffeln begleitet. 

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Aber die Küche ist vielfältiger. In den kalten Gewässern wimmelt es von Süß- und Meerwasserfischen: Lachs, Heilbutt, grönländischer Steinbutt, Zwergdorch, Forelle, Saibling, Kabeljau, Seewolf. Je nach Gelegenheit werden sie gegrillt, mariniert, geräuchert oder getrocknet.

Fischer bereit zum Walfang
Nach dem Walfang
Nach dem Walfang
Wal portioniert nach Fang

Für uns gewöhnungsbedürftig, für die Grönländer überlebenswichtig: Für den eigenen Bedarf darf eine festgelegte Zahl von Walen getötet werden.

Die Blubber,  Reste des Walfangs
Getrocknete Fische in Grönland

Übrig bleibt die sogenannte Blubber – auch sie wird verwertet. Anderen Fisch gibts auch auf Grönland, der wird dann luftgetrocknet

Nach einer Woche landen wir wieder in Aassiaat an. 

Übervoll mit Eindrücken gibt es eine unerwartete Zugabe. Am Hafen von Aasiaat leuchten die ganze Nacht Polarlichter in den Artikhimmel. An Schlaf ist nicht zu denken, immer größere Objektive und Stative werden an Deck gehievt. Wer solche magischen Lichtilluminiationen einmal im Leben erlebt hat, versteht warum. 

 

Am nächsten Morgen bringt uns die kleine Propellermaschine in einer Stunde wieder zurück nach Kangerlussuaq: Letzte traumhafte Ausblicke auf Grönlands zerklüftete Landschaften abseits der Küsten während des Inlandsflugs.

Am Airport Kangerlussuaq ist schon wieder „Gewühl“. Zehn kleine Propellerflugzeuge bringen die Reisenden heran. In einer Stunde startet der knallrote Airbus der Air Greenland – zurück nach Kopenhagen. (September 2013)

Kinder mit Fahrrädern in Grönland
Junge mit Fahrrad
Eisberg
Opa mit Enkel in Grönland

Die Menschen in Grönland sind Besuchern gegenüber aufgeschlossen. Und manchmal staunen sie selbst noch: Wenn sich über Nacht wieder Eisberge in ganz anderen Formen zeigen.

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