Legendäre Strecke auf zwei Rädern
Der Glacier Express gehört zu den schönsten Bahnlinien der Welt.
Wer das Erlebnis intensivieren möchte, radelt die Strecke einfach ab

Von Fred Hafner
St. Moritz/Zermatt. Nicht nur Bahnfans schnalzen mit der Zunge, wenn es um die schönsten Bahnstrecken der Welt geht. In Europa gehört zu ihnen zweifellos der Glacier Express. Acht Stunden dauert eine Reise mit dem „langsamsten Schnellzug der Welt“. Als höchster Punkt erreicht der begehrte Zug mit seinen leuchtend roten Panoramawagen den Oberalppass mit 2.033 Meter über Null. Der Glacier Express passiert auf seinen 291 Kilometern insgesamt 291 Brücken und 91 Tunnel. Der längste ist der Furkabasistunnel mit 15,4 Kilometern. https://www.reiseblick.net/schweiz-zermatt
Kann man das noch toppen? Ich behaupte ja. Mit einer Bike-Tour, der Glacier Bike Tour. Von St. Moritz über Andermatt nach Zermatt durchquert diese Route drei Kantone und führt über drei Pässe. Wer die symbolträchtige Strecke komplett abradelt, fährt über zehn Tagesetappen 370 Kilometer und 9.500 Höhenmeter. Es gibt auch Kurzvarianten: Die Glacier Bike Tour Ost über acht und die Glacier Bike Tour West über vier Tage. Allen ist gemein: Die Strecke wurde speziell für E-Bike-Fahrer konzipiert, am besten einem Mountain-E-Bike. Sie verbindet ein sportliches Erlebnis mit dem Genuss von Natur, Kultur sowie der Entdeckung von Land und Leuten.
Wir sind mit dem SwissPass sowie der SBB und der Rhätischen Bahn über Chur nach St. Moritz angereist. Hier, in der „kleinsten Stadt der Welt“, startet unsere dreitägige Biketour. Um in dieser kurzen Zeit die gesamte Strecke bis Zermatt abzufahren, nutzen wir immer mal wieder den Zug.


Anreise von Chur nach St. Moritz: Das Landwasserviadukt ist das meistfotografierte Motiv bei der Rhätischen Bahn
St. Moritz morgens 8 Uhr: Start der Glacier Bike Tour
Am ersten Tag liegen vormittags 36 Kilometer bis Bergün vor uns. Entlang dem Engadin geht es mit dem Rad über Samedan nach La Punt. Schon wartet mit dem 2.312 Meter hohen Albulapass die erste Herausforderung aus uns. Gleich vorweg: Dank elektrischer Unterstützung kommen wir am Berg kaum außer Puste. Allerdings lernen wir an diesem ersten Pass, die elektrischen Unterstützungsmodi mit der richtigen Gangwahl zu kombinieren. Und wenn man dann schon mal fast ohne Anstrengung einen Pass mit dem Rad erklimmt, gibt es viel zu Entdecken: schroffe Gletscher, malerische Täler, 4.000er Gipfel. Schon am ersten Tag wird klar: Die Glacier Bike Tour ist weder eine gewöhnliche Fernradroute noch eine traditionelle Alpentransversale: Sie durchquert die Schweiz auf Asphalt, Schotter und einfachen Singletracks.
Wir erreichen Bergün, gönnen uns eine kleine Pause und besuchen das sehr empfehlenswerte Bahnmuseum. Es wurde im Juni 2012 im ehemaligen Zeughaus direkt am Bahnhof an der Albulabahn eröffnet. Hier sind die Geschichte der Rhätischen Bahn und die damit verbundene Entwicklung im Albulatal familiengerecht aufbereitet. Gerade auch für Kinder bieten die Macher viel Interaktivität.

"Bahndorf" Bergün am Albulapass: Schweizer Bilderbuchlandschaft


Spektakuläre Schweiz: Rheintalschlucht von Reichenau-Tamins bis Disentis
Trockener Zufluss zum Vorderrhein

Die überdachte Holzbrücke bei Rueun ist die älteste im Kanton Graubünden und steht unter Denkmalschutz. Der Vertrag für ihren Bau wurde am 28. Dezember 1839 von den Bauherren aus Bonaduz zum Preis von damals 5.550 Florin unterschrieben – das waren 435 Franken
Bis Reichenau-Tamins nutzen wir zur Mittagszeit einen der ganztägig und stündlich verkehrenden leuchtend roten Züge der Rhätischen Bahn, um dann nachmittags erneut auf den Sattel zu steigen. Diesmal geht es durch das spektakuläre Rheintal hinauf bis Disentis. Das Dorf mit dem berühmten Kloster liegt auf 1.102 Meter Höhe, Reichenau auf 604 Meter. Den Aufstieg bemerken wir auf den rund 60 Rad-Kilometern dank E-Bikes kaum. Die Strecke entlang dem Vorderlauf des Rheins ist spektakulär. Der Fluss hat sich teils tief ins Tal eingegraben. Die Ausblicke vom Radweg lassen uns immer wieder anhalten und staunen.

Der Holzbrunnen von Valendas steht mitten auf dem Dorfplatz. Er stammt auf dem Jahre 1760 und gilt als größter Holzbrunnen Europas. Bis ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts holten die Einwohner von Valendas ihr Wasser auf diesem Brunnen und erledigten hier ihre Wäsche

Schon mal in einem Kloster geschlafen? Im Benediktinerkloster Disentis kann man sogar übernachten ...

... beste Ausblicke auf das schöne Dorf am Lukmanier- und Oberalppass inklusive

Spektakulärer Blick auch nach innen: Klosterkirche Disentis
Nach knapp drei Stunden erreichen wir Disentis. Das Kloster vermietet Praktischerweise auch Zimmer. Also übernachten wir gleich hier, wann hat man schon mal die Chance, im einem Kloster zu übernachten. Die Zimmer sind sehr groß, überaus modern und mit warmen Farben sowie viel Holz eingerichtet. Es fehlt uns an nichts! Entsprechend den Klosterregeln gibt es keinen TV im Zimmer, was nicht nur wohltuend, sondern leicht zu verschmerzen ist. Denn der Ausblick von hier oben aus dem Klosterfenster auf den Ort, die Passtraße Richtung Lukmanier ins Tessin und auf den Vorderrhein ist phantastisch.

Das Landschaftsbild wechselt ständig: weite Ebene bei Segnas zwischen Disentis und Oberalppass

Der Radweg führt über die Bahnbrücke bei Sedrun

Vorbei an üppigen Wiesen und Blumen mäßig bergauf in Richtung Oberalppass
Am nächsten Morgen wartet die nächste Alpenquerung auf uns. Die Bike-Route von Disentis (1.130 Höhenmeter) zum Oberalppass führt über 26 Kilometer auf 2.046 Höhenmeter hinauf. Hier liegt der Tomasee, auch als Rheinquelle bekannt. Der Oberalppass selbst liegt 2.345 Meter über dem Meer und trennt die Kantone Graubünden und Uri voneinander. Von hier beginnt der junge Rhein seine Reise, die ihn über 1.324 Kilometer bis zur Mündung in die Nordsee bei Rotterdam führt. Nach den obligatorischen Gipfelfotos (mit dem Rad am Pass – Auto und Bahn kann ja jeder) genießen wir die 10 Kilometer lange Abfahrt hinunter nach Andermatt. Waren die Mountain-Bikes eben beim Aufstieg noch robuste "Bergsteiger" über zeitweise anspruchsvolle Schotterpisten, so erweisen sie sich jetzt als wahre Rennmaschinen. Mit mehr als 50 km/h geht es auf Asphalt bergab – die Räder von bester Qualität laufen dabei ruhig und stoisch geradeaus. In nur 15 Minuten sind wir unten.

Nächster Pass erreicht: der Oberalpsee am Oberalppass, in der Nähe liegt die Quelle des Rheins

Beweisfoto am Pass mit Arbeitsgerät: unser MTB-E-Bike ist ein robuster Bergsteiger auf schwierigen Schotterpisten, aber ebenso ein stoischer Schnellläufer auf Asphaltstraßen bergab

Wander- und Radwegweiser am Oberalppass. Der Weg zur Rheinquelle ist nicht weit
In Andermatt besteigen wir die MGB, die Matterhorn-Gotthard-Bahn. Sie vermarktet gemeinsam mit der Rhätischen Bahn das Produkt Glacier-Express und führt durch den mit 15,4 Kilometer langen Furkabasistunnel. Er ist viel Segen und ein wenig Fluch: Der Furkatunnel ermöglicht bereits seit 1982 einen ganzjährigen Bahnbetrieb, wo früher Züge nur im Sommer verkehren konnten. Der Preis dafür: Er beraubt den Glacier-Express seiner größten Attraktion: die Aussicht auf den Rhonegletscher. Sie ist aber weiterhin möglich: Im Sommer garantiert die nostalgische Furka-Dampfbahn auf der Bergstrecke ein Erlebnis besonderer Art. Der Furkapass ist auch die Grenze zwischen den Kantonen Uri und Vallis.


Das Goms ist eine Hochebene, die zum Radeln geradezu einlädt. Nur im Naturpark Binntal werden die Wege etwas schmaler und schroffer
Jetzt kommen wir ins Goms. Das sonnige Oberwalliser Hochtal ist mit seinen urigen Dörfern, Holzhäusern und weißen Kirchen ist im Winter ein attraktives Langlaufparadies und im Sommer eine beliebte Wanderregion. In Reckingen verlassen wir den Zug und radeln bergab bis Mörel. Weil wir einen kleinen Umweg über den Landschaftspark Binntal wählen, werden aus 25 nun 35 Kilometer. Aber immer angenehm leicht bergab. Hier am Fusse des Rhonegletschers durchfahren wir ruhige Dörfer mit vielfältigen kulturellen Schätzen: Rund 70 barocke Kirchen und Kapellen mit ihren schlanken, weißen Kirchtürmen, aber auch die alten Holzhäuser und Ställe im Walliser Stil begeistern. Wir kommen nach Niederwald im Goms. Hier wurde am 23. Februar 1850 Caesar Ritz geboren. Das kleine Bergdorf im Herzen der Schweizer Alpen zählte zu dieser Zeit kaum mehr als 100 Einwohner. Im Winter besuchte Cäsar die Dorfschule, im Sommer war er Ziegenhirt. Im Alter von 14 Jahren verließ er seine Heimat Niederwald zum ersten Mal und besuchte im Walliser Hauptort Sitten ein französischsprachiges Kollegium. 1867 lockte die Weltausstellung Ritz nach Paris. Dort machte er sich bald einen Namen als „César le rapide“. Speisekarte, musikalische Abendgestaltung, Einrichtung der Zimmer – Cäsar Ritz verstand es schon früh, auf die Gewohnheiten und Vorlieben seiner wohlhabenden Gäste individuell einzugehen. Sein Gespür sagte ihm, dass die zahlungskräftige Kundschaft der europäischen Hotels mehr Komfort und Luxus erwünschte als bisheriger Standard. 1898 ging endlich der langersehnte Traum in Erfüllung: Ritz eröffnete sein eigenes Hotel, das „Ritz“ an der Pariser Place de Vendôme. Auf die Eröffnung des Ritz Paris folgten die Gründungen der Ritz-Hotels in London und Madrid. In Niederwald finden wir nicht nur das Geburtshaus von Cäsar Ritz, sondern auch sein Denkmal und seine letzte Ruhestätte.


Niederwald im Goms: Hier wurde der Hotelier Cäsar Ritz geboren. Es gibt eine Station Ritz und man verehrt den großen Sohn des Ortes mit einem Museum
In vielen Dörfern gibt es E-Bike-Ladestationen. Sehr praktisch: das passende Ladekabel gibt es gratis dazu
Vom Goms aus kann man auch das angrenzende Gebiet des UNESCO-Weltnaturerbes Swiss Alps Jungfrau-Aletsch mit dem beeindruckend mächtigen Aletschgletscher besuchen. Leider müssen wir weiter, schließlich haben wir nur drei Tage bis Zermatt. Also besteigen wir in Mörel abermals den Zug und fahren über Brig nach Visp ins Hotel. Die Altstadt hat Charme, bietet viele historische und zeitgenössische Bauwerke, Winkel und Gässchen, die alle ihre ganz eigenen Geschichten haben.
Am nächsten Morgen startet die dritte und letzte Etappe unserer Glacier Bike Tour. Es geht über 36 Kilometer und 1.096 Höhenmeter bergauf! Hier ist jetzt nochmal volle Aufmerksamkeit gefragt: Der Radweg führt über Schotterpisten und direkt neben steilen Abhängen entlang. Er verläuft mehrfach mit starken Steigungen und Gefälle Richtung Matterhorn. Der Trail ist anspruchsvoll, aber beherrschbar. Für Familien mit kleinen Kindern nicht zu empfehlen. Allerdings: Die stündlich verkehrenden Züge der MGB zwischen Visp und Zermatt sind immer in Sichtweite und damit ein gute Alternative zum Radtrail.

Einer der anspruchsvollsten Streckenabschnitte der Glacier Bike Tour verläuft bei Kalpetran auf dem Weg von Visp nach Zermatt. Der Weg ist 1,50 breit und verläuft direkt am Abgrund. Dieser Abschnitt ist ausnahmsweise für Kinder nicht zu empfehlen
Fazit: Wir sind die Glacier Bike Tour einmal in drei Tagen – sozusagen im Schnelldurchlauf – abgefahren. Wir waren unterwegs vom grössten über den kleinsten bis zum sonnigsten Kanton der Schweiz: von Graubünden über Uri ins Wallis. Über drei Pässe, mit einem teils schon spektakulären Auf und Ab, auf Radwegen unterschiedlichster Beschaffenheit. Die Tour führt vom Oberengadin zum Albulapass, steigt über den Oberalppass nach Uri und erreicht schliesslich über den Furkapass das Wallis. Je nach sportlichem Ehrgeiz verbringt man drei bis vier, wer möchte auch mal sechs Stunden pro Tag auf dem E-Bike. Selbst dann bleibt immer genug Zeit für Pausen unterwegs und zum Genießen der Tageszielorte.
Die Beschaffenheit der Radwege wechselt sehr stark. Es gibt schöne glatte Wirtschaftsstraßen, asphaltiert, kaum Autos, und dann wieder schmalste Wege am Abgrund, gern auch mal mit großen Schottersteinen gespickt. E-Mountain-Bike sind absolut empfehlenswert, Nerven behalten und Ruhe bewahren sind hilfreich.
Die Glacier Express Route mit dem Rad zu befahren, ist eine anspruchsvolle, aber unglaublich lohnende Alpenquerung. Sie verbindet das Beste der Schweiz: majestätische Gipfel, technische Trails, charmante Dörfer und eine erstklassige Infrastruktur. Diese Tour ist für Bike-Fans eine der eindrucksvollsten Europas.

Nochmals spektakulär: Bahnlinie, Steinbrücke und Kirche am Ausgang von Visp auf dem Weg nach St. Niklaus

Bald darauf kommt das Matterhorn bei Zermatt in Sicht

Die Belohnung am Ende der Tour ist verdient: Original Schweizer Rösti mit Spiegelei und Schinken
Wer die Glacier Bike Tour buchen möchte, ist bei Eurotrek in guten Händen: Die Mieträder sind bester Qualität, der Gepäcktransfer ist Teil des Pakets. Eurotrek garantiert die Gepäckzustellung bis 18 Uhr. Bei uns waren die Koffer aber fast immer bereits gegen 15 Uhr am Ziel. Nur in Zermatt am letzten Tag hat es bis 17 Uhr gedauert, aber das ist immer noch in der Norm.
Die Glacier Bike Tour folgt den Spuren des Glacier Express mit 53 Haltestellen, 10 Etappen, 370 Kilometern. Sie ist äußerst flexibel zu befahren. Denn die zu 90 Prozent parallel führende Strecke des Glacier-Express´ steht Radlern immer zur Verfügung. Sie ist mit Regionalzügen der Rhätischen Bahn und der Matterhorn-Gotthard-Bahn dicht befahren (mindestens stündlich, teils aller 30 Minuten ein Zug je Richtung). Das macht individuelle Tagesetappen und -planungen sehr einfach. Je nach Wetterlage kann man sich sogar im Laufe eines Tages noch neu bzw. umentscheiden und für bestimmte Etappen das Rad oder den Zug zu nutzen. Wir haben insgesamt 187 Kilometer per Rad zurückgelegt, also rund zwei Drittel der Bahnstrecke.
In jedem Fall empfehlenswert ist die Nutzung eines "Swiss Travel Pass": erstens für die Bahnan- und -abreise nach St. Moritz bzw. Zermatt, zweitens für größtmögliche Flexibilität entlang der Rad- und Glacierstrecke. Den Pass gibt es in verschiedensten Varianten – auch für 3, 4, 6, 8 oder 15 Tage – entweder flexibel oder nacheinander nutzbar. Hier ist allerdings der Bike-Transport nicht inklusive, die Rad-Tageskarte kostet 15 Franken. So individuell wie die Glacier Bike Tour sind in der Schweiz auch die tariflichen und die Zugangebote. Hier wird von Familien über Gruppen bis hin zum Einzeltouristen jeder glücklich. (Juli 2025)


187 Kilometer der 290 km langen Glacier Express Bahnlinie sind wir mit dem Rad gefahren. Dafür nutzten wir drei Tage. Die Tour ist hinsichtlich Dauer und Streckenlänge komplett flexibel buchbar
Infos und Buchungen:
https://glacierbiketour.ch/pauschale
https://www.sbb.ch/de/billette-angebote/billette/gaeste-ausland/swiss-travel-pass.html
Anreise:
Bahn:
über Basel und Chur nach St. Moritz
über Basel und Brig, Visp nach Zermatt
Flugzeug:
von vielen Airports mehrmals täglich nach Zürich, dann weiter mit der Bahn
Auto:
A7, A96 über Lindau, Chur nach St. Moritz
alternativ A5 nach Basel, weiter über Zürich, Andermatt nach Täsch (dort Auto parken, Zermatt ist autofrei)